Die Stadt der schwarzen Schwestern
festhielt, ein Zeichen, sie loszulassen. Dann trat er auf sie zu und streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. «Mein Sohn hat mir erzählt, dass Ihr viele Fragen gestellt habt. Ihr wolltet nicht auf die Warnung meiner Frau hören. Nennt mir einen guten Grund, warum ich Arnout nicht erlauben sollte, Euch zu töten.»
«Wenn Euch die Fragen einer Frau mit lahmem Arm und eines unbewaffneten Mannes größere Angst einjagen als Messer oder Schwerter, werdet Ihr das tun müssen», sagte Griet. «Doch dieser Sieg wird einen schalen Beigeschmack haben. Euer Sohn wird sich sein Leben lang daran erinnern, wie Ihr zwei Wehrlose im Wald ermordet habt. Er wird es Euch niemals vorwerfen, dafür ist er zu loyal. Aber Ihr selbst werdet den Vorwurf in seinen Augen sehen. Und in den Gesten Eurer Frau, die ein gutes Herz hat.»
Der Dorfälteste blickte sie ohne Regung an, dennoch spürte Griet, dass sie ihm gegenüber die richtige Tonart angeschlagen hatte.
«Ihr habt keine Ahnung, welches Unglück einfache Fragen über meine Familie gebracht haben», sagte der grauhaarige Mann schließlich. Es klang nicht bissig, vielmehr wehmütig.
«Wenn Ihr damit die Männer der Inquisition meint, die damals Horebeke auf der Suche nach Ketzern heimgesucht haben, kann ich mir vorstellen, wie Euch zumute ist. Ich habe Isolda kennengelernt. Und ich bewundere sie, weil sie weder hart noch verbittert, sondern heiter und lebensfroh erscheint.»
«Wir haben den Fremden nichts verraten, Vater!», mischte sich Jan ein, der seinen Hund inzwischen an die Leine genommen hatte.
«Dafür hast du dich verraten, mein Junge», sagte Don Luis, der die Klinge nach wie vor an seiner Kehle spürte. Dennoch hatte er sich so weit gefangen, dass er in den Wortwechsel eingreifen konnte. «Du hast gesagt, dir sei nichts über vermisste Nonnen zu Ohren gekommen, dabei hatten wir gar nicht erwähnt, dass wir nach Ordensfrauen suchen.»
Jans Vater legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. «Ist das wahr?»
Der junge Mann machte eine ausweichende Geste, doch eine Antwort fiel ihm nicht ein. «Nun, dann ist es wohl sinnlos, länger zu leugnen», erklärte der Dorfälteste trocken. «Kommt mit!»
«Wohin bringt Ihr uns?» Griet schaute sich besorgt nach den beiden Burschen um, die sie und Don Luis bedroht hatten. Ihre düsteren Mienen verrieten ihr, dass ihre Angst, doch noch erschlagen und an Ort und Stelle verscharrt zu werden, nach wie vor berechtigt war. Es blieb fraglich, ob der Müller und seine Kumpane sie nach seinem Geständnis laufen lassen würden.
«Ich werde mit Euch reden, aber nicht hier, im Wald, sondern in meinem Haus. Wärt Ihr von dieser Stelle aus nur hundert Schritte weitergegangen, hätte ich Euch beide töten lassen müssen. Kein Fremder darf in den Wald gehen und am Leben bleiben.» Er lächelte sanft. «Mein Sohn weiß das ebenso gut wie meine Frau.»
Der Müller hieß Carel. So stellte er sich Griet und Don Luis vor, als sie zitternd vor Kälte und Erschöpfung an seinem Tisch in der Stube saßen. Vor der Tür hielt einer seiner Knechte, der Mann, den Jan im Wald Arnout genannt hatte, Wache. Sein Misstrauen gegenüber Griet und Don Luis war noch genauso groß wie vorher, und er gab durch abfällige Bemerkungen zu verstehen, dass er die Entscheidung seines Herrn, die angeblichen Spione zu schonen und sogar in sein Haus einzuladen, missbilligte.
Die junge Dienstmagd, die beim Abendbrot die Speisen aufgetischt hatte, schöpfte nun auf Geheiß ihres Herrn heiße Graupensuppe mit fettem Speck in die Holzschalen, die auf der blankgewischten Tafel bereitstanden. Doch diesmal rührten weder Griet noch Don Luis das Essen an. Am Vortag waren sie Gäste im Haus des Müllers gewesen, nun fühlten sie sich wie Gefangene. Davon abgesehen hatte Don Luis Schmerzen im Knöchel, was ihn besonders ärgerte, nachdem er die Kletterpartie aufs Mühlendach unbeschadet überstanden hatte. Und nun hatte ihn ein einfacher Fallstrick auf dem Waldboden außer Gefecht gesetzt. Griet warf ihm einen warnenden Blick zu. Es war nicht klug, die Männer, die sich um sie scharten, zu reizen. Sie hielt Ausschau nach Isolda, aber die Frau des Müllers ließ sich zu dieser frühen Morgenstunde nicht blicken. Auch die Magd verschwand, nachdem sie den Männern am Tisch aufgewartet und das Feuer geschürt hatte, und zog die Tür hinter sich zu.
«Ihr geht in den Wald, um geflohene Ketzer und Rebellen, die sich dort verstecken, mit Nahrung und Waffen zu versorgen, nicht
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