Die Stadt der schwarzen Schwestern
Strebepfeilern und Balken ruhte, ein leichter Windzug in den Raum trat. Die Lampe war erloschen, daher verfügte sie über keine Lichtquelle, um nachzuprüfen, aus welchem Winkel die Zugluft tatsächlich kam, doch je länger sie zu den Balken hinaufstarrte, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, dass es dort oben eine Öffnung geben musste. Als sie es Don Luis sagte, brummte der etwas, das nicht schmeichelhaft klang. Dann aber befeuchtete er einen Finger und hielt ihn hoch. «Ihr habt recht, Griet, dort oben muss es noch eine andere Luke geben. Gebe Gott, dass sie größer ist als dieses Mauseloch hier.»
«Aber wie wollt Ihr hinaufkommen?», fragte Griet mit einem skeptischen Blick auf die finsteren Balken, die kaum mehr als in Umrissen zu erkennen waren.
«Seile gibt es jede Menge!» Don Luis schnappte sich ein stabiles Geflecht aus Hanfstricken, das ordentlich aufgerollt über einem Haken hing, und prüfte es kurz, indem er daran zerrte. Dann schlang er ein Ende des Seils um einen Schemel und warf diesen geschickt über den untersten Balken. Bereits sein zweiter Versuch war erfolgreich: Die Beine des Schemels verhakten sich mit dem Balken, sodass das Seil fest saß. Don Luis lächelte grimmig. «In Spanien habe ich einmal einen Berg bestiegen, dagegen ist das hier ein Kinderspiel.»
«Passt bloß auf, dass Ihr Euch bei diesem Kinderspiel nicht den Hals brecht.»
Don Luis keuchte vor Anstrengung, während er sich Stück für Stück am Seil emporzog. Griet konnte sehen, wie seine Arme nach kurzer Zeit zu zittern anfingen. Wann immer er seinen spanischen Berg bestiegen haben mochte, es schien eine Weile her zu sein. Das Seil, an dem er hing, schaukelte bedrohlich. Griet fürchtete, der Schemel könnte abgleiten und Don Luis abstürzen. Rasch schleppte sie die Strohsäcke und Decken herbei, um einen möglichen Sturz abzumildern. Aber Don Luis schaffte es. Wenige Augenblicke später zog er sich auf den Balken und setzte sich rittlings auf ihn, um den Schemel aus seiner Verankerung zu lösen. Da er von hier oben die nächsthöheren Balken nur aufrecht balancierend erreichen konnte, schlang er sich ein Ende des Seils um den Bauch, während er das andere in einer lockeren Schlinge an den Balken befestigte, über die er sich vorsichtig vorwärtsbewegen musste. Griet sah bald nur noch einen vagen Schatten, der sich oben im Gebälk bewegte. Die Stille, die vom Ächzen der alten Balken unterbrochen wurde, setzte ihr zu, aber sie wagte nicht zu rufen, aus Angst, Don Luis aus dem Gleichgewicht zu bringen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bevor er schließlich einen wilden Schrei ausstieß.
«Habt Ihr eine Öffnung gefunden?», rief Griet in die Dunkelheit hinauf. «Sagt doch was!»
Sie erhielt keine Antwort.
Sie rief ein zweites Mal nach ihm und dann noch einmal. Verflucht, dachte sie voller Angst. Was konnte geschehen sein? Hatte er sich mit seinem eigenen Seil erhängt? Sie konnte nichts erkennen, nicht einmal eine Kontur. Alles, was sie sah, war ein schwarzes Geflecht aus Holzbalken, von dem Staub auf sie herabregnete. Sie trat einen Schritt zurück und rechnete jeden Moment mit dem Aufprall seines Körpers. Aber er blieb verschwunden. Sie blickte zu den aufgerollten Seilen. Wie gern hätte sie eines davon genommen und wäre Don Luis gefolgt, aber wegen ihres Arms war daran nicht zu denken.
Plötzlich hörte sie, wie der Türriegel vor der Kammer zurückgezogen wurde. Don Luis steckte seinen Kopf herein.
«Ihr habt es geschafft», rief Griet und legte die Hand auf ihr pochendes Herz. Sie war so erleichtert, ihn zu sehen, dass ihr beinahe die Tränen kamen. Dann aber gewann der Ärger die Oberhand. «Hättet Ihr mir nicht antworten können?», beschwerte sie sich. «Ich bin beinahe gestorben vor Angst.»
Don Luis beschwichtigte sie mit einem Kuss, den sie sich gefallen ließ, weil sie fand, dass sie ihn verdient hatte. «Ich hätte das halbe Dorf geweckt, wenn ich gerufen hätte», erklärte er. «Das Dach der Mühle sieht aus wie ein Trichter, aber Ihr habt mal wieder recht behalten, meine Liebe. Ganz oben gab es eine Öffnung, durch die ich mich bequem schieben konnte. Der Rest war ein Kinderspiel. Kommt jetzt, wir müssen uns beeilen.»
Griet bezweifelte, Jan noch einholen zu können, aber Don Luis strahlte mit einem Mal so viel Zuversicht aus, dass sie ihm widerspruchslos folgte. Vorsichtig schlugen sie den Weg zum Waldrand ein. Im Dorf schlief noch alles, obwohl hier und dort ein Hahn krähte. Bis der Morgen
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