Die Stadt der schwarzen Schwestern
wie lange sie geschlafen hatte. Sie fror, und ihre Glieder fühlten sich steif an. Sie brachte nur ein trockenes «Und?» hervor.
«Ich fürchte, ich muss Euch Abbitte leisten», sagte Don Luis ernst. «Dieser Jan hat soeben das Haus verlassen. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig ducken, sonst hätte er mich gesehen. Ich glaube, er kommt hierher, zur Mühle.»
Griet erschrak. Was, wenn der Sohn des Müllers beschlossen hatte, auch sie verschwinden zu lassen? Niemand in Oudenaarde wusste, wo sie sich aufhielten. «Was sollen wir tun?», hauchte sie voller Angst.
«Rückt zur Seite und lasst mich zu Euch unter die Decke.»
«Don Luis, jetzt ist nicht die Zeit, um …»
«Still», befahl er energisch. «Wir sind ein harmloses Krämerpaar, habt Ihr das vergessen?» Blitzschnell legte er sich neben Griet, doch ihr entging das Messer nicht, das er unter die Decke schob und fest umschlossen hielt. «Bewegt Euch nicht, stellt Euch schlafend. Sollte der Bursche uns angreifen, bereite ich ihm die Überraschung seines Lebens.»
Wenige Augenblicke später hörte Griet ein knarrendes Geräusch auf der Stiege, die hinauf zur Kornkammer führte. Sie hielt die Luft an. Don Luis hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck tiefster Entspannung, als schlafe er wirklich. Sie aber konnte die Augen vor Aufregung nicht schließen. So sah sie, wie sich die Tür langsam öffnete. Sie erkannte die schlaksige Gestalt des Jungen, der sich still an ihr Lager heranpirschte. Dann blieb er stehen und lauschte. Griet hörte seinen Atem und spürte gleichzeitig, wie sich die Muskeln in Don Luis’ Arm anspannten. Sein Gesicht mochte es nicht verraten, aber er war bereit, aufzuspringen und sich mit dem Messer auf Jan zu stürzen.
Der Müllersohn stand einfach nur da. Eine Ewigkeit schien zu verstreichen, ohne dass er sich bewegte oder einen Laut von sich gab. In Griets Nase begann es zu kribbeln, als liefen Ameisen über ihre Wangen. Sie hoffte, etwas würde passieren, denn lange würde sie nicht mehr so daliegen können. Ob Jan nicht längst Lunte gerochen hatte? Er musste doch merken, dass sie und Don Luis nur die Schlafenden spielten.
Dann war der Spuk vorüber. Der junge Mann verschwand ebenso leise, wie er gekommen war. Geräuschlos schloss er die Tür hinter sich.
Und schob den schweren Riegel vor.
«Er ist weg», flüsterte Griet Don Luis zu. Sie schlug die Decke zurück, dann wischte sie sich einige Male erleichtert über die juckende Nase.
«Das ist gut», sagte Don Luis mit einem Blick auf die Klinge seines Messers.
«Und er hat uns hier oben eingeschlossen.»
«Das ist weniger gut. Aber keine Sorge, wir kommen hier schon wieder raus. Ich habe den Jungen unterschätzt, das hätte mir nicht passieren dürfen.»
Griet schlich in geduckter Haltung zu der Fensteröffnung und spähte hinaus. Eine kleine Flamme tänzelte einsam durch die Nacht. Sie bewegte sich auf den Waldrand zu.
«Er geht in den Wald», zischte sie böse. «Ich hab’s gewusst. Wir hätten ihn überwältigen müssen, solange wir die Gelegenheit hatten. Stattdessen lassen wir uns einsperren wie zwei Schafe.»
«Glaubt Ihr wirklich, dieser Bengel hätte uns zu seinem Vater geführt, wenn ich ihn angegriffen hätte?» Don Luis schüttelte den Kopf. «Niemals! Wir hätten das Dorf sicher nicht mehr lebend verlassen.»
«Und was sollen wir Eurer Meinung nach jetzt machen?»
Don Luis untersuchte die Luke. Sie war zu schmal für einen erwachsenen Menschen. Aber zweierlei war Jan entgangen. Er hatte sie für schlafend gehalten, und er hatte vergessen, dass er seine Gefangenen in einer Kammer voller Werkzeug zurückgelassen hatte. Nach kurzer Suche fand Don Luis eine Säge, mit der er zum Fenster zurückkehrte. Vorsichtig setzte er sie an und zog die Schneide einige Male probeweise durchs Holz. Er musste die Luke nur so weit vergrößern, dass er sich hindurchzwängen konnte. Doch so einfach, wie er geglaubt hatte, war die Unternehmung nicht. Obwohl die Seitenwand hauptsächlich aus Holz bestand, stieß die Säge immer wieder auf harten Lehm, mit dem das Flechtwerk ausgestrichen worden war. Eine Weile arbeitete der Spanier verbissen und konzentriert, dann schleuderte er die Säge mit einem Schwall spanischer Flüche in die Ecke.
Während Don Luis beleidigt schimpfte, fand Griet genug Zeit, um das Innere der Kammer zu erforschen. Es wunderte sie, dass durch die Decke, die hoch über ihrem Kopf auf einem Gerüst aus verwinkelten
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