Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
kreisrundes Gelass, dessen Wände nur von der Pforte durchbrochen waren, die ihm den Zutritt gewährte. Der Saal enthielt keinerlei Einrichtung, mit Ausnahme eines fünfsäuligen Thrones, der ohne eine Treppe oder sonstige Möglichkeit, ihn zu ersteigen, so hoch emporwuchs, dass er nur für ein geflügeltes Wesen erreichbar schien. Und doch saß eine Gestalt auf jenem Thron. Sie war in dichte, schwarze Dunkelheit gehüllt und ihr Haupt und ihr Antlitz lagen verborgen unter einer Kapuze aus grässlichen Schatten.
Der Vogel Raphtontis schwebte unheilvoll in der Luft vor jenem Säulenthron. Und verwundert hörte Ralibar Vooz eine Stimme sagen: »O Haon-Dor, Atlach-Nacha schickt mich zu dir.« Und erst als die Stimme das letzte Wort gesprochen hatte, erkannte er sie als seine eigene wieder.
Lange Zeit herrschte eine Stille, die unantastbar schien. Keine Regung durchlief die hoch thronende Gestalt. Doch Ralibar Vooz, der angstvoll zu den Wänden hinspähte, die ihn umschlossen, beobachtete, wie auf ihrer zuvor glatten Oberfläche ein Relief aus tausenden von Gesichtern hervortrat, die so schief und verzerrt waren wie die Fratzen vom Irrsinn befallener Dämonen. Die höllischen Masken schnellten auf Hälsen nach vorn, die länger und länger wurden, und hinter den Hälsen wuchsen Zoll für Zoll missgebildete Schultern und Leiber aus dem Gestein und reckten sich dem Jäger entgegen. Und auch der Boden unter seinen Füßen pflasterte sich mit Gesichtern, die sich rastlos drehten und herumwarfen und ihre höllischen Münder und Augen immer weiter aufrissen.
Schließlich sprach die verhüllte Gestalt. Und obwohl die Worte keiner menschlichen Sprache entstammten, kam es dem Angeredeten vor, als verstünde er dunkel ihren Sinn:
»Mein Dank sei Atlach-Nacha für diese Zuweisung. Und wenn ich zu zögern scheine, so doch nur deshalb, weil ich mich im Zweifel darüber befinde, was mit dir anzufangen ist. Meine Familiargeister, welche die Wände und den Boden dieses Saales bevölkern, würden dich nur allzu gern verschlingen … doch fiele dann für jeden von ihnen nur ein unbedeutender Happen ab. Wohl erwogen, halte ich es daher für das Beste, wenn ich dich zu meinen Bundesgenossen, den Schlangenleuten schicke. Die Schlangenleute sind Wissenschaftler von Rang, und vielleicht gibst du eine besondere Zutat ab, die ihren chemischen Experimenten dienlich ist. Wisse hiermit, dass ich dich einem Banngelübde verpflichte, und begib dich hinab zu den Höhlen, wo das Schlangenvolk lebt.«
In Befolgung dieses Befehls stieg Ralibar Vooz hinab durch die finstersten Abgründe jener urzeitlichen Unterwelt, weit tiefer noch gelegen als der Palast des Haon-Dor. Raphtontis’ Führung ließ ihn nie im Stich, und bald gelangte er zu den ausgedehnten Grotten, wo die Schlangenleute sich ihren vielfältigen Aufgaben widmeten. Sie bewegten sich in aufrechter Haltung geschmeidig schlängelnd auf Gliedmaßen nach Art der Säugetier-Vorfahren, indem sie ihre haarlosen, gescheckten Leiber biegsam krümmten. Während sie hin und her glitten, erfüllte das beständige Geräusch gezischter chemischer Formeln die Luft. Einige von ihnen schmolzen die schwarzen, aus der Tiefe gewonnenen Erze, andere bliesen flüssigen Obsidian zu Phiolen und Retorten, wieder andere wogen und maßen chemische Zutaten ab und die nächsten kosteten seltsame Flüssigkeiten und sonderbare Gallertmassen. Derart vertieft waren die Schlangenleute in ihr Tun, dass keiner von ihnen die Ankunft von Ralibar Vooz und seinem Führer zu bemerken schien.
Erst als der Jäger die ihm von Haon-Dor anbefohlene Botschaft etliche Male hergesagt hatte, nahm endlich eines der aufrecht wandelnden Reptilien seine Anwesenheit wahr. Dieses Wesen beäugte ihn mit kalter, jedoch höchst beunruhigender Neugier und stieß dann ein weithin vernehmbares Zischen aus, das sämtlichen Lärm übertönte, den die allgegenwärtigen Arbeiten und die Gespräche verursachten. Die übrigen Schlangenleute stellten ihre Geschäfte augenblicklich ein und begannen sich um Ralibar Vooz zu scharen. Nach dem Tonfall ihrer Zischlaute zu urteilen, schien unter ihnen eine hitzige Debatte entbrannt. Einige von ihnen schlängelten sich dicht an den Commorier heran, befühlten sein Gesicht und seine Hände mit ihren kühlen Schuppenfingern und spähten neugierig unter seine Rüstung. Er spürte, dass sie seine Anatomie mit methodischer Genauigkeit erforschten. Zugleich bemerkte er, dass sie Raphtontis, der sich auf einem großen
Weitere Kostenlose Bücher