Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
Gestampfe in Urzeitaltern die Erdkruste hatten erbeben lassen. Doch wegen der herrschenden Düsternis vermochte er nicht zu entscheiden, ob es sich um lebendige Wesen oder um bloße Auswüchse des Gesteins handelte.
Mächtig war der Zwang, den das Banngelübde auf Ralibar Vooz ausübte. Benommenheit hatte von seinem Geist Besitz ergriffen … und er empfand nur noch stumpfe Furcht und betäubtes Staunen. Es schien, als gehörten und gehorchten sein Wille und seine Gedanken nicht mehr ihm selbst, sondern etwas Fremdem. Tiefer und immer tiefer stieg er irgendeinem unbekannten und vorgezeichneten Ende entgegen, auf einem Pfad, der dunkel war und dennoch vorausbestimmt.
Schließlich hielt der Vogel Raphtontis inne in seinem Flug und schwebte, bedeutsam kreisend, inmitten einer Höhle, die sich von den übrigen durch ein besonders miasmatisches Gemisch übler Gerüche abhob. Zunächst glaubte Ralibar Vooz, die Höhle sei leer. Als er auf Raphtontis zuschritt, gerieten ihm einige verschrumpelte Überreste zwischen die Füße, bei denen es sich offenbar um von Haut überspannte Skelette sowohl menschlicher wie auch tierischer Herkunft handelte.
Und als er dann dem starren, glimmender Kohle gleichenden Blick des höllischen Vogels folgte, erspähte er in einer finsteren Felsnische die unförmige Silhouette einer kauernden, gestaltlosen Körpermasse. Als er näher kam, regte sich die Masse leicht und streckte mit unendlicher Trägheit einen gewaltigen krötenartigen Schädel vor. Und in dem Schädel öffneten sich einen Spalt breit die Augen, als wäre er halb erwacht aus tiefem Schlaf, sodass sie wie zwei Schlitze triefenden Phosphors in dem schwarzen, stirnlosen Antlitz erschienen.
Über all den Ausdünstungen, die seine Nase beleidigten, nahm Ralibar Vooz den Gestank frischen Blutes wahr. Und das Grauen befiel ihn: Denn als er zu Boden blickte, sah er vor dem schattenumwobenen Monster die schlaffe, dürre Hülle eines Dinges liegen, das weder Mensch noch Voormi oder Tier gewesen war. Zögernd verharrte er, voller Angst, weiter vorzutreten und dabei gleichermaßen unfähig, zu fliehen. Doch verwarnt von einem wütenden Zischen des Archaeopteryx, dem ein messerscharfer Schnabelhieb zwischen seine Schulterblätter Nachdruck verlieh, trat Ralibar Vooz weiter vor, bis er die flaumige, dunkle Behaarung auf dem ruhenden Leib und dem schläfrig vorgereckten Schädel erkennen konnte.
Von abermaligem Grauen und einem Gefühl unentrinnbarer Verdammnis erfüllt, hörte er seine eigene Stimme ohne sein Zutun verkünden: »O göttlicher Tsathoggua, ich bin das Blutopfer, das Ezdagor der Zauberer dir sendet!«
Es erfolgte eine träge Neigung des krötenartigen Hauptes … die Augenschlitze öffneten sich ein wenig weiter und ein Glutschein sickerte aus ihnen in zähen Rinnsalen auf die runzeligen Unterlider.
Danach glaubte Ralibar Vooz ein tiefes, grollendes Geräusch zu vernehmen; doch er wusste nicht, ob es die staubige Luft ausfüllte oder nur das Innere seines eigenen Schädels. Zugleich gerann das Geräusch, wenn auch unvollkommen, zu Silben und zu Wörtern: »Dank sei Ezdagor für diese Opfergabe. Doch da ich mich just an einem blutreichen Opfer gesättigt habe, ist mein Hunger vorerst gestillt. Somit bedarf ich des Opfers nicht mehr. Aber vielleicht verspüren statt meiner andere aus der Familie der Alten Durst oder Hunger. Und da du unter einem Banngelübde hierherkamst, ziemt es sich nicht, dass du ohne die Auferlegung eines neuen von hinnen ziehst. Daher belege ich dich mit dem Bann, dass du abwärts durch die Höhlen dich zu begeben gelobst, bis du nach einem langen Abstieg jenen bodenlosen Schlund erreichst, über den der Spinnengott Atlach-Nacha seine ewigen Netze webt. Und dort sollst du zu Atlach-Nacha sprechen wie folgt: ›Ich bin das Geschenk, das Tsathoggua dir sendet.‹«
Und so schied Ralibar Vooz vom Angesicht Tsathogguas und schlug unter Raphtontis’ Geleit einen anderen Weg ein als jenen, der ihn vor den Krötengott geführt hatte. Immer steiler, immer abschüssiger wurde der Pfad. Er verlief durch gewaltige Höhlen, die sich weiter erstreckten als Blicke reichen, und an Abgründen und Schlünden entlang, die lotrecht in unermessliche Tiefen zu dem schwarzen, trägen Gewoge und schläfrigen Geraune unterirdischer Meere abstürzten.
Schließlich kreiste der Nachtvogel reglos mit waagerecht gespreizten Schwingen und herabhängendem Schwanz über der Kante einer Kluft, deren entgegengesetzte Seite
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