Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
wurden Dinge wahr wie rumpflose Beine oder Arme, die durch den Schleim paddelten, oder kullernde Köpfe, oder robbende Wänste mit Fischflossen und alle möglichen und unmöglichen monströsen Fehlschöpfungen. Je weiter sie sich aus der Umgebung Abhoths entfernten, desto mehr gewannen sie an Größe. Und was davon nicht schnell genug festen Boden erreichte, nachdem es sich aus Abhoth gelöst hatte und in den Pfuhl platschte, wurde von Mäulern verschlungen, die sich in der elterlichen Gebärmasse auftaten.
In seiner Entkräftung vermochte Ralibar Vooz weder einen Gedanken zu fassen noch Grauen zu empfinden – andernfalls hätte er unerträgliche Beschämung gefühlt angesichts der Gewissheit, dass dies die natürlichste Endbestimmung darstellte, welche den Urformen für etwas wie ihn eingefallen war. Eine todesähnliche Stumpfheit lähmte all seine Kräfte und an sein Ohr drang eine Stimme, die scheinbar aus weiter Ferne und hoch über ihm erklang und die Abhoth den Grund seines Kommens kundtat; aber er erkannte nicht, dass diese Stimme ihm selbst gehörte.
Kein Laut gab ihm Antwort, doch aus der klumpigen Masse erwuchs eine Ausstülpung, die sich zu der Stelle vorstreckte und dehnte, wo Ralibar Vooz am Rande des Pfuhls verharrte. Die Ausstülpung verästelte sich zu einer platten, schwimmhäutigen Hand, weich und schleimig, die den Jäger befühlte und langsam von Kopf bis Fuß über seinen Körper glitt. Als sie damit fertig war, schien das Gebilde seine Bestimmung erfüllt zu haben, denn es fiel rasch von Abhoth ab und schlängelte sich mit dem übrigen Gezücht wie ein großer Wurm hinfort in die Finsternis.
Noch immer abwartend verspürte Ralibar Vooz im Geiste ein Gefühl wie vom Klang einer Sprache ohne Wörter oder Töne. Und in menschliche Begriffe übertragen ergab sich etwa folgender Sinn:
»Ich, der ich Abhoth bin, gleich an Alter den ältesten der Götter, befinde, dass die Urformen einen fragwürdigen Geschmack beweisen, indem sie dich mir anempfehlen. Nach sorgfältiger Prüfung anerkenne ich dich nicht als einen meiner Verwandten oder Abkömmlinge … wenngleich ich zugeben muss, dass ich mich anfangs von gewissen biologischen Ähnlichkeiten beinahe hätte täuschen lassen. Ich habe keinerlei Erfahrung mit deinesgleichen und gedenke nicht, meine Verdauung durch unerprobte Kost zu gefährden.
Wer du bist oder woher du kommst, entzieht sich meiner Mutmaßung. Ebenso wenig weiß ich den Urformen Dank dafür, dass sie mein philosophisches und beschauliches Dasein ständiger Fortzeugung durch ein derartig verdrießliches Problem stören, wie du es darstellst. Hebe dich hinweg, ich beschwöre dich inständig! Es existiert eine öde und trostlose Vorhölle, bekannt als die Außenwelt, von der ich dunkel vernommen habe. Und ich meine, dies könnte deiner Wanderschaft ein würdiges Ziel vorgeben. Daher stelle ich dich unter ein hochdringliches Banngelübde: Gehe hin und suche diese Außenwelt auf, so schnell du nur vermagst.«
Offenbar erkannte Raphtontis, dass es die Körperkräfte seines Schutzbefohlenen überstieg, das siebte Banngelübde ohne eine Erholungspause zu erfüllen. Er geleitete den Jäger zu einem der zahlreichen Ausgänge der Höhle, worin Abhoth hauste: zu einem Ausgang, der in vollkommen unbekannte Regionen führte, gegenüber der Höhlenwelt der Urformen. Dort wies der Vogel mittels nachdrücklicher Schläge seiner Flügel und Gesten seines Schnabels auf eine Nische im Felsgestein hin, die einem schmalen Alkoven ähnelte. Der Unterschlupf war trocken und durchaus nicht unbequem als Schlaflager. Und Ralibar Vooz, froh, dass er sich endlich niederlegen konnte, ward von des Schlafes schwarzer Woge hinfortgetragen, kaum dass er die Lider über den Augen schloss. Raphtontis hingegen hielt vor dem Alkoven Wacht und wehrte durch Schnabelhiebe Abhoths umherirrendes Gezücht ab, wann immer es sich an den Schläfer heranpirschen wollte.
Da es in jener unterirdischen Welt weder Tag gab noch Nacht, ließ sich die Dauer des Vergessens, das Ralibar Vooz genoss, mit der üblichen Methode der Zeiteinteilung nicht bemessen. Er wurde von lautem Flügelklatschen geweckt und erblickte den Vogel Raphtontis neben sich, der ein abstoßendes Objekt im Schnabel hielt, dessen Gestalt am ehesten an einen Fisch gemahnte. Wo oder wie Raphtontis diese Kreatur während seiner ununterbrochenen Wache gefangen hatte, warf ungute Fragen auf – aber Ralibar Vooz hatte schon zu lange gehungert, um wählerisch zu sein.
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