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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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vorgeworfen haben. »Catcher ist derjenige, der sie hier herüberbringt«, gestehe ich ihr.
    Sie zuckt zusammen. »Dachte ich mir irgendwie.« Sie führt es nicht weiter aus. »Ich verstehe nicht, wie er das machen, wie er diese Leute hierherbringen kann, wo er doch weiß, dass sie wahrscheinlich sterben werden.« Ich wende mich vom Fenster ab und gehe wieder zum Bett, wo ich den Schal anstarre, der auf dem Kissen liegt.
    Wie kann Catcher sowohl der fürsorgliche Mann sein, an dem mir liegt, als auch der, der Leuten falsche Hoffnungen macht?
    »Er tut, was er muss.« Sie klingt beinahe resigniert.
    »Ja, aber was ist mit ihrem Überleben?Warum dürfen wir auf dieser Seite der Mauer sein und sie nicht?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Wir haben wohl Glück gehabt.«
    Noch nie im Leben hatte ich das Gefühl, Glück zu haben, aber andererseits stehe ich hier, mit etwas zu essen am anderen Ende des Flures, während draußen in der Kälte Soulers für meine Sicherheit sorgen. »Das ist nicht gerecht«, sage ich und wünschte, ich könnte etwas tun.
    Meine Schwester geht durch den Raum, fasst mich an den Schultern und dreht mich zu sich herum. »Es ist überhaupt nicht gerecht. Wir werden einenWeg von dieser Insel finden, und wir nehmen sie mit.« Sie schaut mir in die Augen, und ich nicke.
    »So«, sagt sie in einem leichterenTon. »Catcher hat Bücher von der Dunklen Stadt aus der Zeit vor der R ückkehr hier gelassen. Ich will mal schauen, ob wir dieWahrzeichen ausmachen können. Vielleicht finden wir ja etwas, das uns dabei hilft, von der Insel an einen sicheren Ort zu kommen.«
    »Gute Idee«, sage ich. »Wir treffen uns oben.«
    Sie lächelt und hüpft aus dem Zimmer.
    Ich brauche eineWeile, bis ich ihr folge . A ls ich aufs Dach klettere, steht meine Schwester an der Mauerbrüstung. Sie hält ein Foto auf Armeslänge von sich und sieht zwischen dem Bild und der Dunklen Stadt auf der anderen Seite des Flusses hin und her. Zu ihren Füßen liegen Bücher auf einerWolldecke verstreut, Seiten flattern in der Morgenbrise.
    »Was ist das?« Ich wickele mir den weichen Schal noch einmal um den Hals. Es ist ein strahlender Morgen, so einer, an dem Eis und Schnee glitzern und die Augen blenden.
    Sie dreht sich zu mir um, ihreWangen sind gerötet. Eine leichte Brise zaust das Haar an ihren Schläfen, als sie mir die kleine Karte hinhält.
    Darauf ist eine Stadt abgebildet, umgeben von einem gelben Rand. Schimmernde Gebäude recken sich in den Himmel, eine unglaubliche Monstrosität von stählernen Gebilden. Darüber prangen in dicken gelben Buchstaben dieWorte New York City .
    Eine Erinnerung regt sich in mir, so als hätte ich diesen Augenblick schon mal irgendwo anders erlebt. Sie blitzt kurz auf, und ich habe das Gefühl, an zwei Orten zu zwei Zeiten gleichzeitig zu sein. »Das war …« Ich versucheWorte zu finden, aber meine Schwester kommt mir zuvor.«
    »Die hat unseremVater gehört«, sagt sie. »Sie war in unserem Haus, als wir klein waren. Erinnerst du dich nicht mehr?« Sie wirkt so hoffnungsvoll, aber als ich mir dieses Zuhause vorstellen will, sehe ich nur das verfallene Dorf vor mir. Und ich höre nichts als das verhallende Echo undeutlicher Stimmen. Ich schüttele den Kopf.
    »Habe ich auch nicht«, sagt sie. »Bis ich wieder zurückgekommen bin. Sie hing immer noch an derWand. Meine Mutter – Mary, die mich aufgezogen hat – hat mir erzählt, es sei ihre gewesen. Sie hatte sie vor langer Zeit gefunden, auf ihrer Flucht zum Meer. Das war der erste echte Beweis, dass es eineWelt außerhalb gab, und sie hatte die Karte unseremVater geschenkt, denn er sollte etwas haben, woran er festhalten konnte. Um ihm Hoffnung zu geben.«
    Ich schließe die Augen, will mich unbedingt erinnern . A ber ich sehe nur all die Fotos in dem provisorischen Museum vor mir, die ich früher mal gesehen habe – ganz ähnliche Aufnahmen von einer strahlendenWelt, die jetzt erloschen ist.
    »Egal«, sagt meine Schwester gezwungen munter. »Ich versuche Übereinstimmungen zu finden.« Sie zieht mich an ihre Seite. »Schau mal«, sie zeigt auf eines der höchsten Gebäude auf dem Bild, »ich glaube, das müsste das da drüben gewesen sein.« Sie weist auf den Stumpf einesWolkenkratzers mitten in der Dunklen Stadt, der schon Jahre vor unserer Geburt eingestürzt ist. Schiefe Metallstreben ragen aus dem Schutthaufen, die alles rundum rostrot wie geronnenes Blut gefärbt haben.
    »Und das hier«, sie deutet auf ein niedrigeres Gebäude auf

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