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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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dem Foto, »ist hier drüben. Sie zeigt über die Insel. »In der Mitte kannst du sehen, dass dieses Gebäude mit dem grünen Dach mit dem in dieser R eihe übereinstimmt, da drüben, wo die R este eines alten Glashauses stehen.«
    Sie kniet sich hin und greift nach einem ihrer Bücher. »Und dann kann man hier nachschlagen, wie sie früher ausgesehen haben. Über manche gibt es ganz schön verrückte Geschichten von versteckten Bars und heimlichen Zugängen zu den unterirdischenTunneln, in dem grünen da …«
    Sie bricht ab, als sie mein Stirnrunzeln sieht. Ich nehme ihr das Bild aus der Hand, drehe und wende es und versuche die Stadt so zu sehen, wie sie einmal war. »Ich weiß nicht recht«, sage ich. »Ich glaube, das ist nicht dasselbe.« Ich schaue das Foto prüfend an. »Was ist denn mit dem hier?« Ich zeige auf einen schlankenTurm mit einer dolchartigen Spitze. »Der war dort nie.«
    Sie schaut auf und zuckt mit den Schultern. »Vielleicht war das zu Zeiten der R ückkehr ja schon ein altes Foto«, meint sie. »Aber der Flusslauf passt an der Stelle«, fährt sie fort. »Und es fühlt sich einfach richtig an.Wenn du dieses Bild anschaust, hast du dann nicht das Gefühl, dass du die Stadt siehst?«
    Da muss ich lachen. »Das hier?«, frage ich und gebe ihr mit dem Foto einen Klaps auf die Nase. »Da gibt es doch überhaupt keine Übereinstimmungen mehr. Das eine ist neu und bunt und glänzend und das andere alt, tot und vergessen.«
    Sie runzelt die Stirn. »Nicht vergessen.«
    Ich bin erstaunt, wie ernst sie das sagt. »Nein, das nicht«, erwidere ich, obwohl ich meinenWorten nicht glaube. Wir vergessen zu schnell. Manchmal ist das wahrscheinlich ein Geschenk, denn den Schmerz vergessen wir ja auch.
    Sie schüttelt den Kopf, ihre Augen glänzen. »So lange hat sie gar nicht halten sollen, weißt du.«
    »Wer denn?«
    »Diese Stadt. In einem der Bücher, die Catcher mir mitgebracht hat, steht etwas darüber, was passieren würde, wenn nichts mehr funktioniert. Und da heißt es, dass die Stadt innerhalb von Monaten verfallen würde. Vielleicht würde sie noch ein paar Jahre halten – ein oder zwei Jahrzehnte möglicherweise . A ber niemand hat gedacht, dass sie so lange überdauern würde.« Sie schaut auf die Überreste der Stadt. Den Stahl und das Glas und den Beton, die noch immer da sind.
    »Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen«, flüstert sie. »Ein Jahrhundert und mehr. Sie ist am Leben geblieben.« Sie steht auf und schaut mir ins Gesicht. »Siehst du es denn nicht? Begreifst du denn nicht?Wenn diese Stadt es geschafft hat, für die niemand irgendwelche Hoffnungen hatte, dann können wir es auch schaffen. Schau dir das an«, sagt sie und drückt meine Hand auf das Foto.
    »Wir haben das angesehen, was nicht auf dem Bild ist . A lles, was eingestürzt ist . A ber was ist mit dem, was noch da ist?Was ist mit dem, das durchgekommen ist? Und denen, die überlebt haben?«
    Ich will ihr sagen, dass Häuser nicht so zerbrechlich sind wie Menschen. Sie können sich nicht anstecken. Sie brauchen nicht zu essen, zu atmen, zu schlafen und zu lieben.
    »Wenn wir weg sind, wird es diese Stadt immer noch geben und vielleicht …« Sie holt tief Luft. »Weißt du, vielleicht können sie etwas bauen, was wir nicht können. Vielleicht finden sie eine Lösung, die wir nicht sehen konnten.«
    Meine Schwester wirkt in diesem Augenblick so kämpferisch, dass es mir fast den Atem verschlägt. Ich habe uns immer für so gegensätzlich gehalten. Doch jetzt hat sie mir gezeigt, dass sie auch eine Kämpferin ist.
    »Wie kann ich helfen?«
    Sie schaut mich eineWeile an, dann geht ihr Blick über meine Schulter zumTreppenhaus. Ihre Augen weiten sich, sie sieht etwas, ihre Lippen öffnen sich. Ich frage mich, was ihre Aufmerksamkeit erregt hat, drehe mich um, und meine Hand geht zur Machete an meiner Hüfte.
    »Was ist?«, frage ich, die Muskeln angespannt, um anzugreifen oder zu verteidigen. Sie macht einen Schritt an mir vorbei, ich packe ihre Schulter und halte sie zurück. Ich verstehe das nicht.
    »Faszinierend«, sagt sie und stapft durch den Schnee zu der Mauer, die dasTreppenhaus umschließt.Vorsichtig legt sie die Finger auf die von Holzkohle geschwärzten Ziegel.
    EinenTeil der Zeichnung hat der Wind weggewischt, aber dort, wo sie vor dem schlimmstenWetter geschützt war, ist noch viel davon stehen geblieben.
    »Wer hat das gemacht?«, fragt sie flüsternd.
    Ich starre auf meine Füße, meineWangen glühen, ich kann

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