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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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standen noch. Ich hörte einen Generator summen. Hier und da hing eine Petroleumlampe, und in einer Ecke stand ein riesiger Fernseher. Die Plastikplane tauchte alles in blaues Licht.
    Frank setzte sich auf eine Kabeltrommel und bot mir eine zweite an. Ich nahm Platz. Der Hund setzte sich zu Franks Füßen hin. Ich erklärte ihm, ich sei Privatdetektivin und wolle das Verschwinden des Mannes auf dem Bild aufklären.
    »Was möchten Sie wissen?«, fragte Frank.
    »Alles«, sagte ich. »Alles, woran Sie sich erinnern.«
    Frank nickte und ordnete seine Gedanken, bevor er sprach. Ich hatte den Eindruck, dass er nur selten Besuch bekam.
    »Dieser Mann«, sagte Frank. »Er hat so viele Menschen gerettet. Ich weiß nicht, wie viele von uns nicht mehr am Leben wären, wenn er nicht gekommen wäre. Hat eine Bootstour nach der anderen gemacht.«
    Ich nickte. Es gab keinen Grund, Frank über Vics Lebenswandel aufzuklären. Vermutlich hatte er in seinem Leben genug Schmutz und Elend gesehen.
    »Was ist dann passiert?«, fragte ich. »Nachdem er all diese Leute gerettet hatte?«
    Frank sah mich an. »Das wissen Sie nicht?«
    »Nein«, sagte ich. Ich konnte es mir denken, sagte aber nichts.
    »Ich dachte …«, sagte Frank. »Ich dachte, Sie wüssten Bescheid. Ich dachte, Sie wären gekommen, um den Täter zu finden. So wie im Fernsehen.«
    »Den Täter?«, fragte ich.
    »Der ihn erschossen hat«, sagte Frank. »Der Mann wurde erschossen. Hab es mit eigenen Augen gesehen. Ich dachte, Sie wären gekommen, um den Mörder zu finden.«
    »Bin ich auch«, sagte ich, »genau so ist es. Ich bin gekommen, um herauszufinden, wer Vic Willing erschossen hat.«
    Ich verriet ihm nicht, dass ich eben erst davon erfahren hatte.

    Frank machte uns Tee – in stilles Mineralwasser gemischtes Instantpulver – und fing von vorne an.
    »Alles ging mit dieser Frau los, dieser dicken Lady. Sie steigt aus dem Boot. Wissen Sie, es gab da so eine Art Ufer, da haben wir gestanden und die Leute aus den Booten geholt, und die Boote sind wieder rausgefahren. Die Lady steigt also aus dem Boot und jammert: ›Claude, Claude, Claude!‹ Und dieser Mann – der Mann auf dem Bild – fragt: ›Wer ist Claude? Wer ist Claude?‹ Sie müssen sich vorstellen, es war dunkel, es herrschte das reinste Chaos. Überall Menschen, es war einfach verrückt. Es war die Hölle. Dieser Mann, Ihr Mann, sagt also: ›Wo ist Claude? Wo haben Sie ihn zurückgelassen?‹ Ich weiß nicht, woher und wie er an dieses Ufer gekommen war. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es war das reinste Chaos, es war heiß und dunkel. Die Leute sind umgekippt wie die …«
    Frank machte eine Pause.
    »Jedenfalls jammert diese Lady«, er imitierte ihre Stimme, »›Mein Vogel, mein Vogel, ich habe den Käfig auf dem Dach stehenlassen! Mein kleiner Vogel, ich muss zu ihm zurück. Er ist mein Baby. Sie haben mich ohne mein Baby in das verdammte Boot gezogen, aber ohne ihn gehe ich nirgendwohin. Ich lasse ihn nicht allein.‹ Alle ignorieren ihr Gejammer. Nur dieser Kerl sagt: ›Ein Vogel? Sie haben Ihren Vogel zurückgelassen?‹ Und sie antwortet: ›Meinen Vogel, ja. Ich habe ihn seit dreißig Jahren. Ich liebe ihn so sehr.‹ Sie weint und jammert. Sie sagt: ›Er braucht mich. Er braucht mich. Ich kann ihn doch nicht allein lassen. Ich kann ihn doch nicht im Stich lassen.‹ Da springt Ihr Mann in ein Boot – überall liegen von sonst woher angespülte Boote rum – und fährt raus und kommt mit dem Vogel zurück, einem kleinen Papageien. Und zwei Menschen hat er auch dabei, und Hunde. Zwei oder drei Hunde.«
    Frank hielt inne und schaute zu Boden.
    »Manche Leute«, sagte er, »weigerten sich, Tiere mitzunehmen. Die meinten es nicht …« Er betrachtete den Hund, als wolle er das Thema nicht in dessen Beisein diskutieren. »Die haben es einfach nicht verstanden. Die dachten, sie tun das Richtige. Die meinten das nicht böse. Aber manche Leute haben sich geweigert, ohne ihre Haustiere in die Boote zu steigen. Ich kann das gut verstehen, ehrlich. Einige wurden gerettet, andere nicht. Einige sind bei ihren Tieren geblieben und, na ja, Sie wissen schon. Und ich muss sagen, ich kann das verstehen. Wenn man etwas so sehr liebt. Tja. Aber viele Leute hatten dafür eben kein Verständnis. Jedenfalls fährt dieser Mann immer wieder raus und kommt jedes Mal mit einer Bootsladung von zwei oder drei Menschen und einem Haufen Tiere zurück. Hunde, Katzen, alles Mögliche. Er nimmt die Leute auf, die

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