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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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der Fifth Avenue ergattert hatte. Valerie Bertanelli wurde von ihrem besessenen Ex-Mann gefangen gehalten. Würde sie entkommen? Oder würde sie für immer in dem Haus eingesperrt sein, das früher einmal ihr Heim gewesen war?
    »Ich frage mich, was mit Trace los ist«, sagte ich, als ich mich mit einem Wangenkuss von Kel verabschiedete. »Wo sie wohl steckt?«
    »Bestimmt bei einem Jungen«, lachte Kel.
    »Bestimmt«, pflichtete ich ihr bei.
    Als wir am nächsten Morgen immer noch nichts von ihr gehört hatten, fingen wir an, uns Sorgen zu machen. Ihr Vater rief wieder an. Wir versicherten ihm, dass alles in bester Ordnung sei. Dabei wussten wir es selbst nicht. Sie hätte anrufen können. Wir gönnten ihr das Abenteuer, in das sie da offenbar hineingeraten war, aber sie hätte wenigstens anrufen können.
    Am Nachmittag besuchte Kel mich zu Hause. Wir tranken Kaffee, rauchten und telefonierten in der Gegend herum. Wir riefen Freunde, Bekannte und Jungen an, die Tracy kannten. Niemand hatte sie gesehen. Um acht legten wir eine Pause ein und gingen nach draußen, um Cheeseburger und Poutine zu essen. Nach dem Essen machten wir uns auf die Suche nach Tracy. Wir entdeckten Marcus, den Jungen, auf dessen Graffiti Tracy gewartet hatte, im Mona’s an der Avenue A. Das Mona’s war eine der vielen Bars im East Village, die selbst einem Kleinkind mit gefälschtem Ausweis Alkohol verkauft hätten. Marcus hatte sie nicht gesehen. Er wusste nicht einmal, dass sie für ihn schwärmte. Wir durchkämmten alle Bars im East Village, die damals für Vierzehnjährige interessant waren: Lizmar Lounge, Alcatraz, Downtown Beirut, Mars Bar, Blue & Gold, Cherry Tavern, Holiday, International.
    Niemand hatte Tracy gesehen.
    Ein weiterer Tag verstrich. Ihr Vater verständigte die Polizei. Er rief andere Eltern an. Er rief Kel und mich täglich an. Wir sagten ihm, wir wären überzeugt, dass alles in Ordnung sei. Wobei wir inzwischen vom Gegenteil überzeugt waren.
    Wir weiteten den Radius unserer Telefonermittlungen aus. Wir durchsuchten Tracys Zimmer, ihren Spind in der Schule, ihre Manteltaschen. Wir untersuchten alles, das Tracy je besessen oder berührt hatte oder dem sie nahe gekommen war. Eine flüchtig notierte Telefonnummer, eine Notiz in einem Roman von V. C. Andrews, ein Fleck auf einem T-Shirt, ein einzelner High Heel, ein zerknittertes Poster an der Wand: unserem kritischen Blick entging nichts.
    Aber es half alles nichts. Wochen vergingen, und immer noch keine Spur von Tracy. Die Polizei hatte sich eingeschaltet, aber bald das Interesse verloren. Die Zeitungen und Lokalsender hatten sich zunächst überschlagen, aber je mehr sie über Tracys Familie und ihre – kurze – Vergangenheit erfuhren, desto gleichgültiger wurden sie. Trotz ihrer blauen Augen und der blonden Haare war Tracy kein medientaugliches Opfer.
    Wir wurden immer erfinderischer. Wir machten die U-Bahn-Fahrer ausfindig, die in jener Nacht Dienst gehabt hatten. Wir spürten Jugendliche auf, die wir nur vom Sehen kannten. Wir lernten, Leute auszufragen, die eigentlich nicht mit uns reden wollten. Bei den Eltern eines Jungen traten wir überaus glaubwürdig als Schülervertreterinnen der Stuyvesant High auf; bei anderen versuchten wir es, weniger glaubwürdig, aber überzeugend genug, als Sozialarbeiterinnen, die unterwegs waren, um über Geschlechtskrankheiten aufzuklären.
    Wir gingen nicht mehr zur Schule. Wir besuchten keine Partys und sprühten keine Graffiti mehr. Tracys Verschwinden, ihre Abwesenheit, wurde zu unserem Lebensinhalt. Wir umkreisten die Lücke, die Tracy hinterlassen hatte. Wir interpretierten Silettes Détection nur noch in Bezug auf ihren Fall. Wir ermittelten in Vollzeit. Wir beschäftigten uns mit Spurensicherungstechniken und nahmen Fingerabdrücke von ihrem Zimmer, ihren Sachen, ihren Büchern. Wir brachen ins Schulsekretariat ein, um ihre Schülerakte zu stehlen. Wir redeten mit ihren Lehrern, und wer sich weigerte, wurde zum Reden gezwungen. Wir untersuchten jedes Streichholzbriefchen in ihrer Schultasche und jedes Zettelchen, jeden Vogel am Himmel und jede Blume im Vorgarten. Ringsum nichts als Zeichen. Nichts als Hinweise.
    Aber aus irgendeinem Grund konnten wir sie nicht deuten.

    »Geheimnisse existieren unabhängig von uns«, schrieb Silette. »Ein Rätsel lebt im Äther; der Wind trägt es heran wie einen Regenschirm, und es landet dort, wo die Schwerkraft zu groß wird. Und nun ordnen sich die Elemente ringsum neu an und

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