Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
Vom Netzwerk:
werden zu den Elementen des Rätsels, zu einem fest gewebten Netz aus Spuren und Detektiven, Bösewichten und Opfern. Das friedliche Landhaus von gestern ist heute Schauplatz eines Mordes. Das unauffällige Buttermesser auf dem Küchentresen wird zur geheimnisvollen Waffe. Der mausgraue, stets übersehene Portier wird zum Verdächtigen.
    Wer mit diesem Muster konfrontiert wird, oft ohne eigenes Zutun oder Verschulden, hat keine Wahl, als den Spuren bis zum Schluss, bis zur Lösung zu folgen. Tut er das nicht, bleibt er lebenslang im Netz gefangen. Es geht nicht um verdient oder unverdient, gut oder schlecht. Es geht nur um die Fakten und darum, was sie uns sagen.«
    In einem Interview von 1979 ergänzt Silette seine Worte: »Vielleicht sind es nicht die Rätsel selbst, die das Netz weben«, sagte er, »vielleicht lassen die Rätsel es nur hervortreten. Vielleicht war der Portier immer schon zu allem fähig. Vielleicht war das Buttermesser immer schon ein gefährlicher, unheilbringender Gegenstand. Und nur die Nähe zu einem Rätsel lässt uns diese Wahrheit erkennen.«

    Monate vergingen. Tracys Vater hatte sie offiziell für tot erklären lassen. Kurz darauf starb er selbst. Wir hatten nicht herausbekommen, was Tracy zugestoßen war. Wir waren von der Wahrheit noch genauso weit entfernt wie am Tag ihres Verschwindens.
    Wochenlang hatten wir nichts zu tun. Ich hatte eine Liste von gleichermaßen wahrscheinlichen Möglichkeiten angelegt. Im Grunde war ich von einer Variante überzeugt: Sie hatte Graffiti sprayen wollen, war vor einen Zug gestolpert und überfahren worden. Ihre Leiche war nicht gefunden worden, aber vermutlich hatten wir einfach noch nicht an der richtigen Stelle gesucht. Das New Yorker U-Bahn-Netz war Hunderte von Kilometern lang. Einige der Tunnel hatte die Transportgesellschaft längst aufgegeben und den Sprayern und Obdachlosen überlassen. Wir hatten viele davon von innen gesehen, aber kein Mensch kannte sie alle. Es würde Jahre dauern, sie zu durchkämmen. Was mich betraf, so löste sich das Rätsel kampflos auf. Ich wusste keine bessere Antwort.
    Ich vermisste sie jeden Tag. Der Fund ihrer Leiche würde daran nichts ändern.
    Vielleicht wollte ich es gar nicht wissen. Vielleicht war ich nicht anders als all die Auftraggeber und hatte an der Lösung meines eigenen Rätsels gar kein Interesse. Vielleicht wollte ich Tracy so in Erinnerung behalten, wie sie war, blond, mit Pony und Secondhand-Kleid und Doc Martens, nach U-Bahn und Zigaretten riechend. Vielleicht wollen nicht einmal Detektivinnen ihre eigenen Fälle lösen. Denn sobald ein Fall gelöst ist, wird die Akte geschlossen, und man muss sein Leben weiterleben.
    Aber Kelly gab nicht auf. Niemals. Sie hörte nicht auf, Leute zu befragen, U-Bahn zu fahren und nach Hinweisen zu suchen. Als Tracys Vater starb, brach sie in die Wohnung ein und vermauerte Tracys Zimmer, um die Spuren zu sichern. Sie verputzte die Wand und bearbeitete den Putz, bis er alt aussah. Die Hausverwaltung dachte, ein Akteneintrag habe die Einzimmerwohnung fälschlicherweise als Zweizimmerwohnung ausgewiesen. Man konnte den Verwaltern kaum vorwerfen, die Wahrheit nicht zu ahnen.

    »Vielleicht«, sagte ich eines Tages beim Kaffeetrinken zu Kelly, »sollten wir eine Pause machen.« Wir tranken literweise Kaffee; wir wohnten praktisch im Coffeeshop.
    »Wie bitte?«, fragte Kelly in scharfem Ton. »Eine Pause wovon?«
    »Du weißt schon«, sagte ich nervös, »der Fall. Tracy. Ich glaube, vielleicht haben wir alles gemacht, was möglich …«
    »Wenn wir sie gefunden haben«, sagte Kelly, »dann haben wir alles getan, was möglich war.«
    Ich sagte nichts mehr. Ich zupfte an meinem Bagel herum. Ich war vor ein paar Monaten siebzehn geworden. Ich hatte vor über einem Jahr die Schule abgebrochen. Ich hasste Brooklyn mit seinen verdreckten Straßen und abgestorbenen Bäumen, ich hasste die farblosen Sandsteinfassaden, die gedrängte Bauweise, die einen erstickte, und ich hasste die Yuppies, die einen Straßenzug nach dem anderen an sich rissen und die letzten Überreste liebenswerter Kleinigkeiten zum Verschwinden brachten. Brooklyn war ein armer, trauriger Ort gewesen, dessen Bewohner miteinander geredet hatten. Inzwischen war es ein reicher, trauriger Ort, dessen Bewohner alle, die nicht zu ihrer Clique gehörten, wie Luft behandelten. Die Kinder, die mich früher geschlagen und an den Haaren gezogen hatten, hatten mich wenigstens wahrgenommen. Die Yuppies hingegen setzten

Weitere Kostenlose Bücher