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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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und musste seine Sinne beisammenhalten.
    Vom Platz aus schlug er den Weg in eine Richtung ein, in die er noch nie gegangen war. Sein Besuch war längst überfällig.
     
    Vor ihm lagen die verschlungenen Straßen des Schütze-Bezirks. Die Gerüche eines Spätsommertags erhoben sich aus dem Schlamm der Straße und dem Gedränge menschlicher Körper. Mark rümpfte die Nase und ging weiter. Die vielen Monate des angenehmen Lebens im Turm hatten ihn diese Gerüche nicht vergessen lassen, und auch nicht, wie rasch sie mit der Zeit in den Hintergrund traten.
    Schließlich sah er ein Glitzern in der Ferne. Da war der Laden der »Glasmacherin«. Snutworth hatte ihn gut beschrieben, nachdem er dort gewesen war, um die Besorgungen für ihn zu machen. Das verkniffene Gesicht der Besitzerin sah ihn von der Ladentür aus an, aber er schaute rasch weg. In den Augen der Frau lag etwas, das ihm das Gefühl vermittelte, auf seinen Verkaufswert hin begutachtet zu werden.
    Gleich um die Ecke, hatte Snutworth gesagt. Halten Sie Ausschau nach der Laterne.
    Dort war es. Eine einfache Holztür, schwarz vor Alter. Schon lag der Türknauf in seiner Hand.
    Mark drehte ihn und trat ein.
    Der Geruch der Straßen verflüchtigte sich und wurde von einem schweren, süßlichen Weihrauchduft überlagert. Unter den schmutzigen Buntglasfenstern regten sich Berge von Lumpen und murmelten im Schlaf. Einige Schuldner blickten bei seinem Kommen vom Gemeinschaftskochtopf auf, drehten sich aber rasch wieder weg. Selbst hier mieden sie die, die in der anderen Welt lebten.
    Mark sah sich um. Vielleicht entdeckte er ja jemanden, den er kannte. Laudate wollte er nicht unbedingt begegnen, auch dem Doktor nicht, aber er hoffte doch sehr, dass er sie fand, ehe er auf Lily traf.
    Stattdessen bemerkte er in der hintersten Ecke ein Gesicht, das er nie wiederzusehen geglaubt hätte.
    Der Graf war schon immer mager gewesen, aber jetzt ließen ihn seine eingefallenen Wangen ausgezehrt wirken. Seine abgetragene Kleidung hatte ihren Glanz verloren, genau wie seine Augen, die durch den Raum irrten. Einen Moment lang ruhten sie auf Mark, der glaubte, etwas in ihnen aufflammen zu sehen, eine entfernte Erinnerung. Doch ebenso rasch war es wieder verschwunden, und der ehemals so stolze Mann klappte stumpfsinnig den Mund auf. Ein anderer Mann neben ihm schob einen Holzlöffel mit Haferbrei hinein. Und Graf Stelli, größter Sterndeuter, den die Stadt je gesehen hatte, schloss seine welken Lippen darum und schlürfte den Brei hinunter, allem Anschein nach, ohne es selbst richtig wahrzunehmen.
    Wie betäubt ging Mark auf ihn zu und setzte sich vor ihm auf eine Betbank. Der Mann, der ihn fütterte, wandte sich halb um, aber Mark sah nur ein paar graue Haare und ein runzliges, schmutziges Gesicht, bevor der Mann sich wieder in die andere Richtung drehte und den Brei mit dem Löffel umrührte.
    »Wenn Sie den Doktor oder Miss Lily suchen, Sir, die sind alle weg«, murmelte der Mann.
    »Weg?«, fragte Mark verwirrt.
    »Vor Gericht, Sir. Die Verhandlung des Eintreibers, der Miss Glorias Leben gestohlen hat.«
    Marks Hoffnung sank. In der Zeitung war nicht erwähnt worden, für wann die Verhandlung angesetzt war. Er hatte das Gefühl, sofort aufspringen und zum Gericht laufen zu müssen, aber etwas hielt ihn zurück. Ein Hauch von Fisch stieg ihm in die Nase, und für eine Sekunde befiel ihn eine alte, längst vergessen geglaubte Erinnerung.
    »Der Graf«, sagte Mark schließlich, »was ist mit ihm?«
    »Das Alter, Sir«, erwiderte der Mann, der ihm weiter den Rücken zudrehte und dem alten Sterndeuter den nächsten Löffel Haferbrei in den Mund schob. »Wenn die Zeit gekommen ist, erwischt es uns alle. Wie man sagt, hat er es jahrelang weit von sich gewiesen, aber das war vor seiner Zeit auf der Straße. Das lässt einen Mann schnell um Jahre altern, Sir, und er hatte von Anfang an bereits zu viele davon.«
    Mark betrachtete die Hand, die den alten Mann fütterte. Voller Falten war sie, aber doch kräftig. Sie war ihm unangenehm.
    »Warum lässt er ihn hier wohnen?«, fragte Mark schließlich. »Der Doktor, meine ich. Hat der Graf ihn nicht enterbt?«
    Der Mann schob den Löffel wieder in die Schüssel und rührte nachdenklich darin herum. »Kann sein. Aber das sind nur Worte auf einem Vertrag, oder? Blut hingegen, das zählt. Das lernen wir alle früher oder später. Er ist noch immer der Großvater des Doktors. Nichts kann daran etwas ändern. Und niemand sollte darauf einen Preis

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