Die Stadt der verkauften Traeume
festsetzen.«
Mark runzelte die Stirn. »Das haben einige bereits getan«, erwiderte er düster.
»Habe davon gehört, Sir.«
In der neuerlich eintretenden Stille erhob sich Mark und spürte die Luft ganz deutlich, die ihn mit ihren verschiedenen Gerüchen zu erdrücken schien.
»Wo sind sie?«
»Im Sonnenhof, an der Grenze zwischen Skorpion- und Waage-Bezirk. Das höchste Gericht. Eigentlich sollte ich auch dort sein und öffentlich aussagen.«
Mark starrte den Mann verdutzt an. Es war schwer zu sagen, ob er alt oder jung war. Er hatte etwas an sich, das Mark das Gefühl gab, sehr klein zu sein.
»Sind Sie denn Zeuge gewesen?«, fragte er.
Der alte Mann kicherte leise. »Nein, Sir, ich war der Mann, den sie zuerst verhaftet haben. Aber jetzt haben sie genug andere Beweismittel von dieser Eintreiber-Streife, da bin ich nicht mehr wichtig.«
»Das …«, murmelte Mark, der nicht darauf vorbereitet gewesen war, ausgerechnet dem Mann zu begegnen, von dem er gesagt hatte, auf ihn käme es nicht an. »Das tut mir leid.«
»Danke, Sir, aber das hätten Sie nicht sagen müssen.«
Mark nickte. Es stimmte. Er hätte es nicht sagen müssen. Nicht dem Gesetz nach. Und trotzdem …
Mark schüttelte den Kopf. Die Verhandlung hatte bestimmt schon angefangen. Er musste dorthin. Wenn einer von ihnen seine Verwicklung in die Sache aufdeckte, wäre alles vorbei.
Es war wichtig. Sehr wichtig.
Dennoch musste er sich dazu zwingen, das Almosenhaus zu verlassen, sich der Stimme des unschuldigen Mannes und den schrecklichen, leeren Augen des Grafen zu entziehen.
Tief in Gedanken versunken, ging Mark durch die Straßen, hinaus aus den verschlungenen Gassen und vorbei an den düsteren Gefängnissen und den Kasernen der Eintreiber im Skorpion-Bezirk, bis er schließlich vor den eleganten Regierungstürmen im Bezirk der Waage stand. Dort oben, auf dem Hügel, fest verankert zwischen den Türmen, stand das gewaltige Gerichtsgebäude, ein Sinnbild der Eleganz und der Endgültigkeit. Weder die goldenen Statuen der Gerechtigkeit noch die anmutigen Wandbilder der Sonne, die auf eine Welt der Ordnung herabschien, konnten seinen Zweck verbergen: Das Gebäude ragte drohend auf wie ein unerbittlicher Richter, der bereit ist, ohne mit der Wimper zu zucken die grausamsten Urteile zu fallen. Mark erschauerte, als er zwischen den mächtigen Säulen hindurchging.
Obwohl es im Sitzungssaal sehr voll war, fand er ohne Weiteres auf der Zuschauerempore einen Platz. Allem Anschein nach war er nicht der Einzige, der herausgefunden hatte, wo diese Verhandlung stattfand. Er schob sich bis nach vorn an die Brüstung. Von dort aus sah er Pauldron, der auf der Anklagebank saß. Der Eintreiber starrte reglos geradeaus, den Blick auf etwas geheftet, das nur er sehen konnte. Ab und zu wanderte eine seiner Hände zur Brust, um an dem Namensschild zu zupfen, das er nicht mehr trug, oder um den mit-temachtsblauen Mantel glatt zu streichen, der ihm längst abgenommen worden war. Auf der anderen Seite des Gerichtssaals erblickte Mark Lauds rote Mähne und neben ihm eine kleinere Gestalt, vielleicht seine andere Schwester; Mark hatte sie nie kennen gelernt. Vergeblich suchte er nach Lily, lauschte dem erwartungsvollen Geflüster um ihn herum. Es war kurz vor der Urteilsverkündung.
Plötzlich ertönte ein lautes Pochen vom Richterpodium. Mark schaute zum Vorsitzenden Richter und hielt den Atem an. Dort saß Lord Ruthven, prächtig ausstaffiert mit Perücke und Talar, und blickte auf den Saal hinab. In Marks Hinterkopf meldete sich eine leise Stimme. Hier handelte es sich doch nur um einen gewöhnlichen Lebensdiebstahl. Eine traurige Angelegenheit, natürlich, aber doch nicht der Anwesenheit des Lordoberrichters würdig. Bevor er zu einer befriedigenden Lösung des Rätsels gekommen war, erhob sich Lord Ruthven.
»Wir haben sämtliche Beweise gehört, und Pauldron hat seine Vergehen gestanden. Nicht einmal ein Eintreiber steht über dem Gesetz. In Übereinstimmung mit den Gesetzen von Agora habe ich mein Urteil gefällt und werde nun die Strafe verkünden. Nachdem Pauldron der Familie von Mr Laudate und Miss Benedikta ein Leben gestohlen hat, haben sie das Recht auf sein Leben. Sie sollen beschließen, ob er leben oder sterben soll.«
Erregtes Gemurmel erfüllte den Saal, bis Lord Ruthven erneut energisch seinen Hammer niederfahren ließ.
»Wie dem auch sei«, fuhr er fort, jedes Wort mit der Gewichtigkeit seines Amtes betonend, »die Familie hat
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