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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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entschieden, dass ein anderer für sie sprechen soll, um ihren Standpunkt in besagter Angelegenheit zu verdeutlichen. In Anbetracht der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit wurde dem stattgegeben. Die Sprecherin soll vortreten.«
    Lord Ruthven machte eine, wie Mark fand, eher unwillige Geste und setzte sich wieder. Laud legte den Arm um Benediktas Schultern. Pauldron starrte weiter vor sich hin. Sein Gesicht war eine Maske der Verachtung. Das Gemurmel in der Menge wurde lauter.
    Mark sah das alles und nahm doch nichts davon wirklich wahr. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf eine andere Bank, diejenige direkt unter Lord Ruthven, dort, wo normalerweise der Gerichtsdiener saß. Jetzt sah er, wie sie sich erhob und den Blick durch den Gerichtssaal schweifen ließ. Das Geraune verstummte sofort, alle Augen waren auf sie gerichtet.
    Dann hob sie den Blick und sah ihn an.
    Einen Moment lang sah er nichts anderes. Einen Blick völliger Klarheit, der ihn weder begrüßte noch verdammte, sondern ihm lediglich befahl zuzuhören.
    Mark setzte sich gebannt.
    Lily erhob die Stimme.

 
KAPITEL 20
     
Die Rede
     
    Lily legte beide Hände auf das Geländer vor sich. Ringsumher spürte sie den Druck Tausender Augen und Ohren, die Luft war bleischwer vor Erwartung. Langsam und bedächtig holte sie Luft.
    »Die Angehörigen haben mich gebeten, ihre Antwort auf das Urteil bekanntzugeben«, begann sie. Ihre Stimme war nicht laut, aber sie breitete sich im gesamten Saal aus. »Sie finden es sehr merkwürdig.« Lily schluckte, versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. »Sie können nicht verstehen, wie ein Leben ein anderes aufwiegen kann. Vielleicht dann, wenn Pauldrons Leben gegen das von Gloria eingetauscht wird, wenn sein Tod ihre Schwester zurückbringen könnte. Aber das geht nicht. Das vermögen selbst wir nicht.«
    Lily sah sich im Gerichtssaal um. Schon jetzt wurde es hier und da unruhig. Sie hatten nur eine kurze Stellungnahme erwartet, ein Zeichen der Trauer, bevor sie eilig in ihren Alltag zurückkehrten. Aber jetzt hatte sie die Möglichkeit -jetzt oder nie. Es war ihre Chance, und Laud und Benedikta hatten darauf bestanden, dass sie sie nutzte. Sie hob die Stimme.
    »Was also nützt ihnen ein anderes Leben? Sie könnten sein Blut verlangen, ihn zum Galgen schicken, und niemand würde auch nur mit der Wimper zucken. Oder sie könnten ihn für sich arbeiten lassen, ihn in Ketten gelegt. Das eine oder andere wäre das, was gewöhnliche Leute tun würden.« Hier und da blitzte Interesse im Publikum auf, also fuhr sie rasch fort. »Doch an diesem Fall war nichts gewöhnlich. Pauldron hat nicht versucht, sie oder mich oder irgendjemand Bestimmten zu töten. Er hat versucht, eine Idee zu töten.«
    Während sie redete, warf Lily Lord Ruthven einen kurzen Blick zu. Der Lordoberrichter starrte düster zurück. Er hatte Lily im Vorhinein mehr als deutlich gemacht, dass kein Wort hinsichtlich des Uhrwerkhauses oder Pauldrons Verbindung zum Waage-Bund erwähnt werden dürfe. Aus Pauldrons Hass auf das Almosenhaus hatte die Anklageschrift jedoch kein Geheimnis gemacht.
    »Aber eine Idee kann nicht zerstört werden«, fuhr sie fort. »Selbst wenn er Agora im Blut derer ertränkt hätte, die daran glauben. Denn Ideen kehren wieder. Es spielt keine Rolle, wer sie zuerst ausspricht; sie haben ihr ganz eigenes Leben. Und Gloria glaubte an diese Idee: Sie glaubte daran, dass das Leben von Menschen, lebendigen, fühlenden Menschen, nicht auf Worte in einem Vertrag beschränkt werden kann.«
    Lily spürte die zunehmende Unruhe wie ein Summen durch den Gerichtssaal schwirren. Sie konnte nicht beurteilen, ob es zustimmend oder ablehnend war, spürte aber, wie die Temperatur im Raum merklich anstieg. Ein kurzer Blick zu Laud und Benedikta zeigte ihr, dass die beiden gespannt dasaßen, sich an den Händen hielten und sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck ermutigten weiterzumachen. Direkt hinter ihnen stand Theo und nickte ebenfalls aufmunternd. Lily wandte sich wieder dem Publikum zu.
    »Sie wissen vielleicht, dass die Eintreiber das Almosenhaus während ihrer Ermittlungen geschlossen haben. Es mag Sie überraschen zu erfahren, dass sie sich, als Wiedergutmachung dafür, dass einer ihrer eigenen Männer für Glorias Tod verantwortlich ist, damit einverstanden erklärt haben, dass es seine Tür wieder öffnet.« Lily beugte sich vor, und ihre Finger schlössen sich fest um das kleine Geländer. »Ich behaupte nicht, dass Gloria gewusst hat, wofür sie

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