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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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weißt du …«
    Nachdem er wusste, wie sie sich entschieden hatte, schien er unbedingt wegzuwollen, als hätte ihm ihre Entscheidung Schmerzen bereitet.
    Lily eilte ihm nach. Ihre Gedanken konzentrierten sich jetzt völlig auf die Zeit, die vor ihr lag.
    »Ich verspreche es dir, Theo. Ich komme zurück.«
    Doktor Theophilus blieb in der Tür stehen und drehte sich um. Der Schmerz in seinen Augen war etwas anderem, Sanfterem gewichen.
    »Ich bitte dich, Lily. Mach keine Versprechungen, die einzuhalten nicht in deiner Macht liegt.« Er nahm seine Maske und Schutzbrille. »Hoffe, wünsche … aber versprich nicht.«
    Er setzte die Maske auf, verbarg sein Gesicht unter ausdrucksloser weißer Autorität, ging nach draußen und verschwand in der Menge.
    Lily sah ihm nach. Als sie ihn kurz darauf im Gedränge aus den Augen verloren hatte, umschloss sie die kleine Schriftrolle so fest mit ihrer Hand, dass das Siegel ihr in die Handfläche schnitt.

 
KAPITEL 23
     
Die Zelle
     
    Mark wurde von dem Geräusch geweckt, mit dem Stein gegen Stein kratzte.
    Er überlegte kurz, ob er die Augen öffnen sollte, kam aber zu dem Schluss, sie geschlossen zu lassen. Solange er in dem Zustand zwischen Schlafen und Wachen blieb, konnte er glauben, dass der Gefangene in der Zelle gegenüber einen Stein gelockert hatte und schon in diesem Moment nach draußen in die Freiheit kroch.
    Aber leider hielt er das nicht lange aus.
    Mark wurde sich immer deutlicher der kalten Steine unter sich, der Schmerzen in Armen und Beinen bewusst, des Schmutzes, der alles mit einem schmierigen Film bedeckte.
    Er schlug die Augen auf. Fahles Licht rann zäh durch das Fenster weit oben herein und warf graue Schatten auf die grob behauenen Steine der Wände und die rostigen Gitterstäbe seiner Zellentür. Rostig, aber sehr fest. Mark hatte es ausprobiert, als er noch bei Kräften gewesen war. Nach mehreren Wochen Gefängnisfraß war er inzwischen ziemlich geschwächt.
    Apathisch drehte er den Kopf zur Seite, um einen Blick in die gegenüberliegende Zelle zu werfen. Das Kratzen wurde sogar noch lauter und wütender als vorher. Mark beobachtete den Gefangenen, der sich das fettige Haar aus den Augen strich und wütend mit einem Stein an den Wänden kratzte.
    Die Wände von Ghasts Zelle waren mit Inschriften übersät. Sie sahen aus wie Berechnungen oder wie eine Art Tagebuch. In Wahrheit hatte Ghast so viele Male über sie hinweggekratzt, dass sie jede Bedeutung, die sie einmal gehabt haben mochten, verloren hatten. Pro Tag arbeitete er sich durch die gesamte Zelle. Kein Wunder, dass ihm die Haut lose von den Knochen hing. Er bewegte sich unaufhörlich.
    Mark schloss die Augen und versuchte, nicht noch einen Tag damit zuzubringen, dem Verrückten dabei zuzusehen, wie er die Wände zerkratzte. Das Problem bestand darin, dass es nichts anderes zu tun gab. Außer sich in Erinnerungen zu verlieren, und dieser Qual war Ghast jederzeit vorzuziehen.
    »Die haben ihn umgebracht, weißt du …«
    Die Stimme wehte durch die Lücke zwischen ihren Zellen herüber. Mark setzte sich müde auf, doch Ghast drehte ihm noch immer den Rücken zu. Der alte Gefangene schien sich nicht groß darum zu kümmern, ob jemand zuhörte oder nicht.
    »Sie haben ihn in Stücke geschnitten und verkauft, Pfund für Pfund«, murmelte er und kratzte einen dicken Strich quer über eine Wand. »Aber sie konnten ihn nicht daran hindern zu denken, konnten seinen Verstand nicht auseinandernehmen. Nicht, wenn er ihn versteckte. Solange er weiß, wo er ihn hingetan hat …«
    Er fuhr herum und grinste Mark an. Mark erschauerte. Etwas an diesem Grinsen war falsch. Es war viel zu groß für das ausgezehrte, eingefallene Gesicht.
    »Er hat immer nach den Großen gesucht, die, die ihre Messer scharf und sauber hielten. Er wusste, wo er nach ihnen suchen musste, unter den Lichtern, bei den Damen, immer beim Feiern. Aber der kleine Stern und sein Schatten waren zu schnell.« Er sank an der Wand zusammen. »Wie gewonnen, so zerronnen … wie gewonnen, so zerronnen … Die Mauern sind nur da, wenn du es zulässt … Der Verstand wandert frei umher … überallhin, kann mit seinen Augen kaufen und seinen Atem verkaufen …«
    Mark blickte auf seine nackten Füße. Sie waren taub vor Kälte und von Flöhen zerbissen. Konnte er seinen Verstand verkaufen? Warum nicht? Alles andere konnte man schließlich auch verkaufen. Was sonst hatte er anzubieten? Selbst der Geruch, der ihm damals in den Elendsvierteln nie etwas

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