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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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und priesen, wie alle anderen fleißig mitgesungen, und einmal hatte einer der Männer beim Buchbinder eine Gitarre mitgebracht; raue Stimmen hatten sich zum Gesang erhoben, bis sie aus dem Zimmer geschickt worden war, weil es »unschicklich« für sie sei. Das hier jedoch war etwas völlig anderes. Es war keine Stimme, es waren nicht einmal Worte, und trotzdem sang etwas; es kam und ging mit dem Wind.
    Nach einer Weile kam Lily zu einem baufälligen Haus an einem alten Marktplatz. Im Mondlicht konnte sie gerade noch erkennen, dass auf dem bröckeligen Fassadenputz früher ein Muster gewesen war, ja, dass dieses Haus einmal ein prächtiges und schönes Gebäude gewesen sein musste. Nun schauten jedoch die nackten Balken hervor, und eine uralte Holztür, halb aus den Angeln gerissen, war nur angelehnt. Hinter dieser Tür aber kam der betörende Klang hervor.
    Lily zögerte. Ihr war kalt, sie war schmutzig und weit weg von ihrem Meister. Ihr Verstand, der fieberhaft arbeitete, riet ihr, auf der Stelle umzukehren, herauszufinden, wo sie eigentlich war, und schleunigst wieder zum Doktor zurückzukehren und ihn um Verzeihung zu bitten, bevor er nicht mehr mit ihrer Rückkehr rechnete.
    Ihre Hand war anderer Meinung. Sie schob die Tür auf.
    Im Innern des Hauses war es viel zu leer. An der Wand zeugten geisterhafte Umrisse davon, dass hier einst Bilder gehangen hatten; ein alter Stuhl, der vermutlich einmal zu einer ganzen Garnitur gehört hatte, stand einsam in einer Ecke.
    Lily ging weiter, passte auf, dass ihre Füße nirgendwo anstießen, ja, sie trat nur ganz vorsichtig auf den Dielen auf, die jeden Augenblick knarren oder quietschen konnten.
    Sie kam in ein weiteres Zimmer; dem Sofa mit den drei staubigen Kissen nach zu urteilen ein Wohnzimmer, an dessen gegenüberliegender Wand noch eine Tür weit offen stand. Leise schlich Lily näher, denn die Melodie kam von dort. Sie stieg unaufhörlich an und verebbte dann wieder.
    Lily spähte hinein.
    Sie erblickte im Mondlicht einen kleinen Hof, dessen Wände mit verdorrtem, von Raureif bedecktem Efeu bewachsen waren. In der Mitte des Höfchens ergoss sich das trübe Rinnsal eines Brunnens gluckernd in ein vermoostes Becken. Auf dem Rand des Beckens saß, in schwarze Schals gehüllt, eine Frau, deren Hände ein eigenartiges Instrument umfasst und zwischen Schulter und Kinn geklemmt hatten. Ihr Haar sah silbrig aus, was jedoch am Mondlicht liegen konnte. Sie starrte in die Ferne, den Blick ihrer dunklen Augen auf etwas gerichtet, was allein sie sehen konnte.
    Lily blieb wie verzaubert stehen. Die Musik erfüllte den ganzen Hof, eine einfache Melodie, die nur vom Rascheln der Blätter begleitet wurde. Lily erinnerte sich ganz schwach an eine Zeichnung, die sie einmal in einem Buch gesehen hatte. Dieses Ding nannte man Violine.
    Lily spürte, dass etwas in ihr aufstieg. Es war nicht so wie zuvor, als es sich angefühlt hatte, als würden ihre Gefühle vom kalten Wind aus ihr herausgesaugt. Dieses Gefühl von Traurigkeit erwuchs von innen, stahl sich unvermittelt heran, während sie der Musik lauschte. Alles andere war wie ausgelöscht.
    Sie spürte eine Hand auf dem Handgelenk.
    Beinahe hätte sie laut aufgeschrien, aber etwas in ihr hielt sie davon ab. Vielleicht deshalb, weil sie damit die Musik unterbrochen hätte. Stattdessen versteifte sie sich und drehte sich so langsam und geräuschlos wie möglich um.
    Sie blickte in ein Paar Augen, ungefähr auf ihrer Höhe. Sie sah ein blasses, neugieriges Gesicht und kurze rote Haare. Als sie den Mund aufmachte, hob die Gestalt einen weißen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. Lily verstand sofort. Leise entfernten sie sich beide rückwärts in das Zimmer, aus dem Wohnzimmer heraus und in den Flur. Die Gestalt, von der Lily jetzt sah, dass es ein Mädchen in ihrem Alter in einem ärmlichen weißen Nachthemd war, schloss die Tür. Die Musik war nun zwar gedämpft, aber immer noch zu hören. Das Mädchen drehte sich zu Lily um und verzog dann zu Lilys großer Verwunderung das Gesicht zu einem breiten Lächeln.
    »Na, was hältst du davon?«, flüsterte sie. »Von Signora Sozinhos Spiel?«
    »Es ist wunderschön«, antwortete Lily wahrheitsgemäß. Das schien dem Mädchen zu gefallen.
    »Du hast großes Glück, weißt du das?« Sie sprach zwar sehr leise, hörte sich aber trotzdem atemlos an. »Sie gibt keine Konzerte mehr, hier im Viertel kennt man sie nur als die Geigenbauerin … Sie will nicht, dass jemand sie spielen

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