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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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früher Sängerin gewesen. Die beste in der ganzen Stadt. Sie und Signor Sozinho wurden überall in Agora gehört. Bevor wir geboren wurden, kannte die beiden jeder.« Benedikta seufzte. »Wenn es nur annähernd so war wie die Geige … Es heißt, sie konnte sogar Schuldner zum Lächeln bringen.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte Lily leise.
    Benediktas Lächeln erstarb. »Ein Bewunderer ist passiert. Einer, der sich mit der Signora zu sehr angefreundet hat … Bis Signor Sozinho davon erfahren hat. Die Scheidung … hat ihr alles genommen. Die Signora wollte das alte Haus, in dem sie aufgewachsen ist, so gern behalten, deshalb hat er es ihr gelassen. Aber er hat alles andere mitgenommen. Das Geld, die Gemälde … und ihre Stimme.« Benedikta berührte ihre Kehle. »Die hat er auch mitgenommen … Jetzt wird sie nie wieder für jemanden singen.«
    Noch am vorangegangenen Morgen wäre Lily darüber entsetzt gewesen. Aber jetzt, wenn sie an die Ereignisse ihres eigenen Tages zurückdachte, kam ihr all das nur zu glaubhaft vor. Es war viel leichter hinzunehmen, als zu glauben, dass dieses rothaarige fremde Mädchen, das mit ihr redete, als würden sie sich schon seit Jahren kennen, wirklich war und kein Schutzengel.
    »Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt als Geigenbauerin«, fuhr Benedikta fort. »Aber es ist nicht genug, um das alte Haus ordentlich zu unterhalten. Eigentlich müsste eine ganze Armee von Dienern darin arbeiten, aber sie kann sich nur mich leisten. Ich habe eine Schwäche für Sprachen, sogar für die Zeichensprache.« Sie unterbrach sich. Sie waren am Rand des großen Marktplatzes angekommen, der zu dieser Stunde geradezu unheimlich still war. Sie gingen unter einem der verzierten Bogen hindurch, der das Symbol einer jungen Frau trug, die sich auf Wolken räkelte. »Aber nicht einmal ich weiß, was sie meint, wenn sie auf dieser Geige spielt. Diese Sprache besitzt keine Worte.« Sie neigte den Kopf. »Früher, als ich ganz neu im Haus war, habe ich sie immer sehr gern spielen hören, aber nachdem ich ihre Geschichte erfahren habe … Ich höre immer noch zu, aber es tut mir weh. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für sie ist …«
    Benedikta schloss kurz die Augen. Ihre fröhliche Leichtigkeit war verflogen. Dann schüttelte sie ihre Schwermut ab und wandte sich Lily mit einem strahlenden Lächeln zu. »Entschuldige, mein Bruder sagt immer, dass ich zu viel rede. Von hier aus findest du bestimmt allein weiter, oder? Die Signora mag es nicht gern, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit noch draußen bin.« Benedikta grinste. »Aber tagsüber hat sie nichts gegen Besucher … Wenn du magst.«
    »Ja«, erwiderte Lily und lächelte. »Ich kenne den Weg.« Sie zögerte, hätte dieses eigenartige Geschöpf am liebsten umarmt, zum Teil aus Dankbarkeit, zum Teil aber auch, um festzustellen, ob sie wirklich echt war. »Vielen Dank«, sagte sie stattdessen. »Vielen Dank, Benedikta.«
    »Keine Ursache. Gute Nacht, Lily«, sagte Benedikta und blickte nach Osten. »Es heißt schon bald guten Morgen.«
    Lily nickte. Ben lächelte, drehte sich um, und ehe Lily noch etwas sagen konnte, war sie in den uralten Straßen verschwunden.
    Lily fand den Weg zurück zu Miss Devines Laden wieder wie in Trance, völlig versunken in ihre Gedanken. Die in den Hauseingängen zusammengekauerten Gestalten nahm sie kaum wahr, hörte kaum ihr krächzendes Husten, bis sie wieder die glitzernde Wand des Glasgeschäfts erblickte. Vor dem Laden wartete in der Dunkelheit der Doktor auf sie, groß und eindrucksvoll in seinem schwarzen Umhang. Lily sah zu ihm auf.
    »Sir … Ich …«
    »Sie spielt keine Rolle. Ich habe Miss Devine dafür, dass ich ihre Maschine zerstört habe, zusätzlich zur Miete einen Anteil an allen zukünftigen Einkünften versprochen. Außerdem habe ich das hier bekommen.«
    Er legte seine Hand in die ihre und drückte sie. Es fühlte sich warm und tröstlich an. Als er sie wieder wegnahm, lag ein schmales Fläschchen mit einer schwarzen Flüssigkeit in ihrer Hand. Seitlich eingeritzt stand in groben Lettern das Wort Ekel.
    »Du kannst es erreichen, ohne dich zu verkaufen, Lily«, sagte der Doktor leise. »Wenn du es wieder zu dir nimmst, ehe der Tag vorüber ist, dann ist es so, als hättest du es nie verkauft. Andernfalls ist es für alle Zeiten weg.« Er drehte das Gesicht zur Seite. »Entschuldige meinen Zorn. Du hast das nicht wissen können.«
    Lily wollte etwas sagen, wollte ihm sagen, dass alles gut

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