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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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war. Doch sie sah, dass er noch nicht zu Ende gesprochen hatte. Er blickte in die Nacht hinaus und fuhr fort:
    »Zum Schluss, als mein Vater gestorben war, hat meine Mutter alles versucht, um unsere Miete zu bezahlen. Alles. Nur zu ihrem Vater, dem Grafen, wollte sie unter keinen Umständen zurück. Sie hat angefangen, ihre Gefühle zu verkaufen, nur die kleinen, auf die sie gut verzichten konnte. Dann, eines Tages, kam sie zurück und schickte mich weg zu Großvater, ohne ein Wort der Erklärung, zusammen mit ausreichend Schmuck, um mir meine Ausbildung an der Medizinschule zu ermöglichen. Ich fragte mich lange, was sie wohl verkauft haben mochte, um so viel dafür zu bekommen.« Der Doktor wandte sich ab und steckte einen neuen Schlüssel in die kleine Tür in der Wand. »Ihre Liebe zu mir war offensichtlich besonders ausgeprägt.«
    Er schob die Tür auf und ging ins Haus. Lily folgte ihm. Das Fläschchen mit ihrem eigenen Gefühl pulsierte schwach in ihrer Hand.
    Drinnen war es so dunkel, dass Lily kaum etwas sehen konnte. Aber sie nahm einen neuen Geruch war, einen sehr eigenartigen, wie nach Staub und Früchten. Schweigend griff der Doktor nach einer alten Messinglampe und zündete das Licht an.
    Als das bernsteinfarbene Leuchten heller wurde, wurden hölzerne Bankreihen sichtbar. Zwei Statuen, die wohlwollend auf sie herabblickten, tauchten am anderen Ende des Raumes auf, und hoch oben an den Wänden, beinahe unsichtbar vor dem dahinterliegenden Nachthimmel, waren eigenartige Fenster zu sehen, die von schwarzen Linien durchzogen waren.
    »Das hier nannte man früher einen Tempel«, flüsterte Theophilus. »Die waren einmal sehr in Mode. Mein Vater war der Priester hier, und meine Mutter kam jede Woche eine Stunde her. Sie setzte sich nur hin und dachte lieber über irgendetwas anderes nach als darüber, was sie besaß oder nicht besaß. Dann kam sie zweimal die Woche, dann jeden Tag. Schließlich tat sie etwas, was mein Großvater als närrisch bezeichnete.« Er neigte den Kopf. »Sie heiratete einen Mann, der Dinge schätzte, die man nicht anfassen, nicht in der Hand halten und nicht besitzen konnte. Das war ihr Untergang, aber sie hat es keinen einzigen Tag bedauert.« Er seufzte. »Arme Frau.«
    Als Lily sich umsah, wurden ihre Augen immer größer. Die Sonne ging langsam auf, und das Morgenlicht drang durch die Fenster mit dem bunten Glas herein.
    »Es sollte immer ein Ort der Heilung sein«, sagte Theo und hob das Gesicht in das farbige Licht. »Jetzt kann es das sein. Willkommen in unserer neuen Praxis, Lily.«
    »Unsere Praxis«, wiederholte Lily flüsternd. Ja, dieses unsere hörte sich wirklich sehr gut an. So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt.
    Und das Sonnenlicht war so warm.

 
Erstes Zwischenspiel
     
    Der Raum ächzt unter dem Gewicht der Geschichte.
    Seine Decke ist hoch, verliert sich in der Dunkelheit. Irgendwo dort oben im Gebälk gibt es Lampen, aber ihr Licht erhellt gerade mal die riesigen goldgerahmten Porträts, die an den Wänden hängen und finster auf den blank gebohnerten Boden herabblicken, als hätte er zu ihrer Zeit heller geglänzt. Aber dieser Raum ist nie besonders licht gewesen; jedenfalls nicht, seit das Empfangsdirektorium erbaut wurde.
    Er ist still und ruhig. Selbst das scharfe Klackern hochhackiger Schuhe, die mit festem Schritt über den Marmorboden schreiten, verhallt hoch oben unter der Decke.
    Die Schuhe erreichen einen Schreibtisch aus Mahagoni. Die Schritte zögern leicht. Nicht dass es jemandem aufgefallen wäre. Niemandem außer der Gestalt hinter dem Schreibtisch, deren Schreibfeder erstarrt.
    »Beunruhigt Sie etwas, Miss Rita?«
    Eine trockene Stimme, eine geduldige Stimme, aber eine Stimme, die die Frau vor dem Tisch erschrocken die Luft anhalten lässt. Auch das bemerkt er sofort.
    »Nein, Herr Direktor. Nur …«
    Eine Pause entsteht. Das Echo der letzten Worte der Frau verebbt. Sie tippt nervös mit dem Fuß auf den Boden. Der Direktor, dessen Gesicht jenseits des Lichtkreises einer dicken Kerze verborgen ist, legt seine Schreibfeder nieder.
    »Ihr Projekt. Wie kommt es voran?«
    »Fast ein Jahr ist seit dem Eigentag des Mädchens vergangen, Sir. Aber …«
    »Fahren Sie fort.«
    Die Schuhe machen einen Schritt nach hinten. Die Temperatur im Raum scheint zu fallen.
    »Sind Sie sicher, dass diese beiden unsere Aufmerksamkeit verdienen, Herr Direktor?«
    »Nur Geduld, Miss Rita«, sagt der Direktor, dessen Feder jetzt wieder über das Pergament

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