Die Stadt der verkauften Traeume
Augen ihres früheren Gatten zu schauen, und bewegte weiter die Hände. »Ich habe versucht, diese Musik wiederzufinden. Am Ende habe ich versucht, sie mit jemand anderem zu finden. Aber sie ist nie wieder zurückgekehrt …« Benedikta runzelte die Stirn. »Ich glaube, sie sagt carissimo. Das ist eine alte Sprache …« Sie senkte die Stimme. »Ich glaube, es bedeutet mein Liebster .«
»Ich habe nichts Falsches getan«, murmelte Signor Sozinho. »Das Gericht hat zu meinen Gunsten entschieden, einem Ehemann, dem Unrecht widerfahren war. Ich habe unser gemeinsames Leben nie verraten.«
»Nicht durch deine Taten«, sagte Benedikta, die Augen auf die fliegenden Hände der Signora gerichtet, »aber mit deinen Blicken und in deinem Herzen. Du hast mir alles genommen. Mein Leben, meine Stimme … Ich habe meinen Namen für dich weggegeben und dafür deinen angenommen.«
»Genug!«, rief Signor Sozinho. Diesmal war das Echo ganz deutlich. Es war die Stimme einer Frau, die wie ein kaum wahrnehmbares Duett in der seinen aufstieg. »Ich höre mir deine Lügen nicht länger an. Du hast alles zerstört, was wir einmal hatten, und jetzt bekommst du es nicht wieder zurück. Du wirst für niemand anderen singen, auch nicht, wenn ich für den Rest meines Lebens deine Stimme hören muss …« Er hielt inne und wandte sich ab. Auch Signora Sozinho drehte sich mit aschfahlem Gesicht um.
Lily wechselte einen ängstlichen Blick mit Benedikta. Das hatte nicht passieren sollen. Nach allem, was Ben ihr von dem Paar erzählt hatte, war sie fest davon überzeugt gewesen, dass sie einander nur zu sehen brauchten. Stattdessen schien sie alles bloß noch schlimmer gemacht zu haben. Die Leute rings um sie herum sahen herüber und tuschelten miteinander. Sie sahen genau das Gegenteil dessen, was Lily ihnen hatte zeigen wollen. Ohne einen festen Plan im Kopf trat Lilly vor und stellte die einzige Frage, die ihr einfiel: »Warum bewahren Sie ihre Stimme ständig in sich?«
»Das geht dich nichts an, Mädchen«, blaffte der Signor, aber Lily ließ nicht locker.
»Hatten Sie denn nicht die Möglichkeit, sie in eine Flasche füllen zu lassen? Das wäre doch normal, oder?«
»Ganz recht, Mädchen.« Der Signor richtete einen unheilvollen Blick auf seine frühere Frau. »Aber ich wollte nicht. Vielleicht deshalb, weil sie mich für immer daran erinnern sollte, nie wieder jemandem zu vertrauen.«
Ganz leise und ohne genau zu wissen, wo die Worte eigentlich herkamen, sagte Lily: »Das glaube ich nicht.«
Der Signor drehte sich zu ihr um. Seine Stimme klang bitter und verächtlich. »Du? Wer bist du eigentlich? Was weißt du schon von dem Schmerz, den ich ihretwegen habe erleiden müssen?« Er zeigte mit dem Finger auf die Signora. »Was weißt du von den Qualen eines zerstörten Lebens? Du, die kaum mit ihrem Leben begonnen hat, woher willst du wissen, was es bedeutet, wenn zwanzig Jahre eines Lebens in eine Lüge verwandelt werden? Wie es sich anfühlt, wenn einem die Seele aus der Musik gerissen wird?«
Eine lange Pause entstand, in der sogar der Lärm vom Platz hinter ihnen nur gedämpft durchzudringen schien. Dann hob die Signora ganz langsam den Kopf und machte sechs einfache Handzeichen. Benedikta sah hin und sagte: »Ich wusste nicht, dass es dir so viel ausmachen würde.«
Signor Sozinho seufzte. »Es gab eine Zeit, carissima, es gab eine Zeit. Eine Zeit, in der ich glaubte, dass du mir alles gegeben hättest, was du besaßt.«
»Das habe ich nun.« Jetzt seufzte die Signora, und ein trauriges Lächeln zeigte sich auf ihrem zerfurchten Gesicht.
Der Signor schüttelte den Kopf. »Nichts als ein Ersatz«, sagte er.
Sie sahen einander wie erstarrt an. Lily holte tief Luft, denn mit diesem Augenblick der Stille war ihre Chance gekommen. Hunderte von möglichen Worten kamen ihr in den Sinn, Worte, mit denen sie rang und die sich ihr anboten, Worte, mit denen sie erreichen wollte, dass die beiden sie verstanden. Aber als sie schließlich sprach, spürte sie, wie ein eigenartiges Gefühl sie beschlich. In diesem Augenblick spielten ihre hochtrabenden Ideen keine Rolle mehr. Die Worte waren nicht berechnend, und es ging auch nicht mehr darum, irgendetwas zu beweisen oder einen Kreuzzug anzufangen. Diese Worte kamen von ihr, Lily, die zwischen zwei Menschen stand, die zusammengehörten, und sie meinte jedes Wort genau so, wie sie es sagte.
»Es ist nicht zu spät«, erklärte sie. »Ich bitte Sie, Signor, hören Sie mir nur einen Augenblick
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