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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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vielen Füßen zertrampelt worden waren, vorbei und sah zum Glockenturm hinauf.
    Halb zwölf.
    Lily runzelte die Stirn. Das Musikpodium war nach wie vor leer. Eigentlich hätte er längst hier sein müssen. Sein Diener hatte gesagt, dass er den Auftrag erhalten habe, ein neues Werk für die Feierlichkeiten zu komponieren und zu singen. Angeblich würde der Direktor selbst vom höchsten Turm des Direktoriums aus zuhören.
    Sie ging auf und ab, blickte in jedes Gesicht, das ihr entgegenkam. Ab und zu glaubte sie, darunter ein bekanntes zu sehen, aber sie gingen immer gleich wieder in der Menge unter. Sie hatte noch nie an diesem Fest teilgenommen. Im letzten Jahr war es ihr erlaubt worden, zusammen mit den anderen Arbeitern des Buchbinders hierherzukommen, doch die Ankunft ihres Siegelrings am gleichen Vormittag hatte alles verändert. Damals war es ihr vorgekommen, als hätten an ihrem Eigentag alle außer ihr gefeiert.
    Natürlich wusste sie, dass Mark da sein würde, aber sie war sicher, dass er sogar noch nervöser sein würde als sie. Sie durfte sein Erscheinen auf dem Podium der Sterndeuter auf keinen Fall verpassen, obwohl er im letzten Brief an sie nicht mehr so begeistert geklungen hatte wie zuvor. Sie hatte keine Zeit mehr gehabt, ihm von ihrem Plan zu erzählen, aber er hätte sie wahrscheinlich sowieso bloß ausgelacht. Als sie jetzt mitten in der Menschenmenge stand und alle Anwesenden völlig von den Feierlichkeiten gefangen waren, schien ihre eigene Entschlossenheit zu bröckeln. Selbstverständlich war sie davon überzeugt, dass es das, was sie vorhatte, allein um seiner selbst willen wert war, getan zu werden, genau so, wie sie es gesagt hatte: ein Akt der Freundlichkeit, der ihr im Gegenzug überhaupt nichts einbrachte. Gleichzeitig nagte der Gedanke an ihr, dass sie doch etwas haben wollte, und zwar ganz unbedingt. Sie wollte, dass es gesehen wurde, wollte allen Anwesenden zeigen, dass es noch eine andere Art zu leben gab. Und sie wollte sich selbst beweisen, dass es möglich war.
    Jemand rempelte sie an. Sie drehte sich empört um, sah aber nur noch einen schwarz gekleideten Fremden davoneilen. Er entschuldigte sich mit einer Geste, hielt jedoch unbeirrt auf sein Ziel zu: allem Anschein nach der Glockenturm. Neugierig sah Lily ihm nach und erstarrte.
    Dort, genau neben ihm in der Menge, stand der Mann, auf den sie wartete. Alle Gedanken an den Fremden schwanden sofort, als diese neue Gestalt auf sie zukam. Mit seinem langen, wallenden Mantel und dem grau melierten Haar gab es keinen Zweifel: Sein Gesicht gereichte den meisten Abbildungen, die am Podium der Musiker angeheftet waren, durchaus zur Ehre.
    »Signor Sozinho!«, rief Lily und schob sich in seine Richtung, wobei ihr die Tüte mit den Bonbons auf den Boden fiel. »Einen Augenblick, bitte, Signor …«
    Signor Sozinho sah lässig in ihre Richtung. Ein leicht gereizter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
    »Ein Kind?«, sagte er und blickte auf Lily herab. »Und dazu noch ein ungepflegtes? Ich hoffe nur, dass Miss Lilith noch anderes Personal hat als dich, Mädchen. Der große Signor Sozinho gewährt nicht jedem ein persönliches Gespräch. Soweit ich mich an den Brief erinnere, schrieb deine Herrin, sie wolle mich persönlich treffen.«
    Seine Stimme war voll und musikalisch, aber in den Obertönen schwang etwas Merkwürdiges mit. Als würde auf jedes seiner Worte ein geisterhaftes Echo folgen. Lily streckte ihm die Hand entgegen und versuchte, sich wesentlich älter zu geben, als sie sich fühlte. Es war Zeit, sich zu bekennen.
    »Vielen Dank, dass Sie mir Ihre kostbare Zeit opfern, Signor.« Sie hielt inne, als sie sah, dass ihre Hand noch immer von der vormittäglichen Arbeit schmutzig war. Peinlich berührt wischte sie sie an ihrer Schürze ab und fühlte sich dabei von Sekunde zu Sekunde jünger und hilfloser. »Ich bin Miss Lilith.«
    Der Signor sah sie verdutzt an. »Dann musst du jemanden haben, der deine Briefe schreibt, denn die Handschrift ist erstaunlich gut«, sagte er und zog seine Hand ruckartig zurück, als hätte er sie sich schmutzig gemacht. »Immerhin, ein hübscher Scherz, deshalb will ich mich nicht aufregen. Wenn du ganz brav bist, gebe ich dir vielleicht ein Autogramm, aber erst nach der Darbietung. Momentan habe ich jedoch Wichtigeres zu tun …«
    »Signor, bitte …« Lily stellte sich ihm in den Weg. »Wenn Sie bitte mitkommen würden … Es dauert nur einen Moment.«
    »Ich habe keine Zeit, Mädchen«, blaffte

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