Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Maske herzustellen.
»Araby?«, ruft Mutter aus dem Wohnzimmer.
Abrupt schiebe ich die Schublade zu. Bestimmt hat Mutter es gehört. Schnell lasse ich die Papiere im Ärmel meines hochgeschlossenen Kleides verschwinden.
»Araby?« Mutter steht im Türrahmen. »Was tust du da?« Sie klingt eher verwirrt als vorwurfsvoll, was meine Gewissensbisse noch verstärkt.
»Ich habe Vater gesucht.«
»Er ist unten und redet mit den Wachen. Hast du es denn nicht mitbekommen?« Nun scheint ihr Argwohn doch geweckt zu sein. »Los, komm da heraus. Er sieht es bestimmt nicht gern, wenn du dich in seinem Labor herumdrückst.«
Ich folge Mutter, doch bevor ich Gelegenheit habe, meinen Ärmel mit den Papieren glattzustreichen, geht die Wohnungstür auf, und Vater tritt herein.
Ich warte mit hämmerndem Herzen, doch Mutter sagt nichts.
Vater bleibt stehen und wartet. Offenbar fragt er sich, weshalb wir ausgerechnet hier stehen.
»Ich werde vor dem Abendessen noch eine Weile arbeiten«, sagt er schließlich mit einem Blick auf die Labortür, die ich in der Eile vergessen habe zuzuschieben.
»In einer Stunde wird das Abendessen serviert«, sagt Mutter. »Die Köchin hat Pilze …«
Sie bricht ab, als es eindringlich an der Tür klopft.
Ich halte die Luft an. Es gibt nur einen Menschen, der einfach an die Tür klopft: April. Alle anderen Besucher müssen sich einer Sicherheitskontrolle in der Eingangshalle unterziehen. Eine Hausangestellte öffnet die Tür. Wir drehen uns um.
Ein junger Mann steht mit einem Strauß dunkelroter Rosen vor der Tür. Im ersten Moment erkenne ich ihn fast nicht, weil ich ihn noch nie mit Maske gesehen habe. Doch seine arrogante Haltung und seine fragend hochgezogenen Brauen verraten ihn – nun, da sein restliches Gesicht verdeckt ist, wirken sie umso eindringlicher. Die Maske steht ihm gut, finde ich.
Eine seiner Brauen scheint eine Spur dunkler zu sein, so als hätte er sie leicht versengt. Mir fallen die Streichhölzer wieder ein. Vielleicht hat er sich ja verbrannt. Oder er war gestern Abend noch in der Stadt unterwegs.
Wie auch immer – ich freue mich sehr, ihn zu sehen.
Elliott kommt hereingeschlendert, schüttelt Vater die Hand, nickt Mutter zu und überreicht mir die Blumen. Ich nehme sie umständlich entgegen. Ein Stachel bohrt sich in meine Hand, worauf eine dünne Blutspur an ihr herabrinnt.
»Ich bin Elliott«, stellt er sich meinen Eltern vor. »Der …« Er zögert kurz. »Aprils Bruder. Ich hatte gehofft, Ihre Tochter könnte mich nach oben aufs Dach begleiten.«
Das Dach. Eigentlich darf ich nicht hinauf, obwohl ich lange nicht mehr daran gedacht habe, mich in die Tiefe zu stürzen. Ich lege die Blumen achtlos zur Seite. Mutter starrt Elliott an. Ihr Gesicht ist kreidebleich. Sie tritt zum Sideboard und schenkt sich einen Drink ein, allerdings weiß niemand, ob er für sie oder für Elliott gedacht ist.
»Aufs Dach?« Ehe Mutter fortfahren kann, betritt unser Kurier den Raum. Tränen laufen ihm übers Gesicht. Der Mann, der sonst scheinbar ungerührt darauf wartet, Besorgungen für uns zu erledigen, weint. »Die Bomben heute Nacht …«, flüstert er. »Die Fabrik, in der die Masken hergestellt werden, ist vollständig zerstört worden.«
Ich schnappe nach Luft und schlage mir die Hand vor das Mundstück meiner Maske, wobei die Papiere in meinem Ärmel unüberhörbar rascheln.
Elliotts und meine Augen begegnen sich.
»Aber bestimmt wird sie doch wieder aufgebaut werden«, wirft Mutter ein.
»Die Leute draußen sagen, selbst wenn sie es schaffen sollten, müssen die Arbeiter jede Maske einzeln von Hand anfertigen. Nur die ganz Reichen werden sie sich leisten können.« Der Kurier lässt sich auf das Sofa fallen.
Mutter drückt ihm den Drink in die Hand statt unserem Gast.
»Und wissen die Leute auch, wer die Fabrik zerstört hat?«, fragt Elliott.
Mein Blick richtet sich wieder auf seine versengte Braue. Was genau weiß er?
»An die Mauern, die noch stehen, sind schwarze Sicheln gemalt«, antwortet der Kurier.
Elliott nickt. »Malcontent.«
Vater und Mutter zeigen keinerlei Reaktion beim Klang dieses Namens, doch der Kurier hebt abrupt den Kopf.
Vater stützt sich mit beiden Händen auf dem Fensterbrett ab und blickt hinaus. »Das werden sie noch bitter bereuen, wenn die nächste Ansteckungswelle kommt«, sagt er. Hektisch wischt er sich mit einem Taschentuch über die Stirn, wobei er einen breiten Tintenstreifen hinterlässt, und steckt es wieder ein. »Diese
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