Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
mehr wirkt. Düstere Träume suchen mich heim, obwohl ich traumlos schlafen sollte.
Der nächste Morgen schleppt sich ereignislos dahin. Ich kippe den Inhalt meines Make-up-Täschchens auf der Frisierkommode aus.
Mutter betritt mein Zimmer, ohne anzuklopfen.
»Ich weiß jetzt, wieso du in Vaters Labor warst«, sagt sie.
Ich erstarre. Meine schuldbewusste Reaktion bestätigt ihren Verdacht. Ich sehe den Abscheu in ihren Augen.
»Prosperos Neffe hat dich dazu angestiftet. Er will, dass du deine eigene Familie verrätst. Ich kenne ihn von früher … aus der Zeit, als du mit Vater und Finn im Untergrund gelebt hast. Er verheißt nur Ärger. Halte dich von ihm fern, Araby.«
Ich rechne eilig nach. »Aber damals muss er praktisch noch ein Junge gewesen sein.«
»Alt genug für mich, um zu erkennen, was er war. Was er ist.« Sie hält inne und wartet darauf, dass ich sie frage, was sie damit sagen will. Dass ich mich zu ihr umdrehe und sie ansehe. Ich spiele mit meinem Puderpinsel herum. Sie legt mir die Hand auf die Schulter.
»Es gibt gute und anständige Menschen, so wie Finn. Dann gibt es Menschen, die sich bemühen und ihr Bestes geben, so wie du und ich. Und es gibt Menschen, die für alles Gute auf der Welt nur Verachtung übrig haben.«
Ist ihr nicht bewusst, dass sie mit ihrem Entschluss, ihren Mann und ihre Kinder im Stich zu lassen, um ein Leben im Luxus führen zu können, genau dasselbe getan hat?
»Er ist Aprils Bruder«, sage ich und schraube eine Flasche Glitzerlidschatten auf, mit dem ich zumindest meine geröteten Augen kaschieren kann.
»April blieb zum Glück das Meiste erspart … was ihr Onkel ihm angetan hat.«
Wir hören Vater draußen im Salon auf und ab gehen. Unsere Fußböden müssten inzwischen von den vielen Wanderungen längst durchgetreten sein. Ich stelle das Fläschchen beiseite und warte darauf, dass Mutter noch etwas sagt, doch sie schüttelt nur den Kopf und geht hinaus.
Als ich eine Stunde später herauskomme, geht Vater immer noch auf und ab. Am liebsten würde ich mir aus einer der Flaschen auf dem Sideboard einen Drink einschenken, aber ich verkneife es mir.
»Vielleicht machen wir später einen kleinen Spaziergang«, schlägt er vor. Ein ernster, trauriger Ausdruck liegt auf seinen Zügen. Gerade als er fortfahren will und ich mich gespannt vorbeuge, ertönt ein Klavierakkord, der uns beide zusammenzucken lässt. Mutter spielt – keine ihrer gewohnt angenehmen Melodien, sondern etwas Dramatisches, Harsches.
Mutters Klavierspiel macht alles kaputt. Mit einem Mal wirkt Vater verstört, als erinnere ihn das Stück an etwas Schreckliches. Aber was es auch sein mag, der Augenblick ist vorüber.
Mutter spielt weiter, wiederholt das Stück endlos, wieder und wieder. Spielt sie falsch? Versucht sie, einen Fehler zu korrigieren? Wo ich auch hingehe, ich kann den Klängen nirgendwo entgehen.
Vater scheint es genauso zu ergehen.
»Vielleicht sollte ich ja meinen Mantel holen«, sagt er schließlich. »Ist es kalt draußen, was meinst du?«
Die Musik verstummt.
»Geh nicht«, warnt Mutter. »Da draußen ist es gefährlich.«
Vater will sich ihr zuwenden und sie beruhigen, als ein heftiges Klopfen an der Tür ertönt.
Elliotts Gesicht ist hinter dem Dutzend weißer Rosen kaum zu erkennen.
»Oh, wie reizend«, stößt Mutter unwillkürlich hervor.
Er reicht ihr die Hälfte der Rosen und streckt mir die andere hin.
»Ich hatte gehofft, Araby macht mir das Vergnügen und begleitet mich … äh, in den Club.« Er wendet sich an mich. »Hast du Lust?«
Mutter schüttelt den Kopf.
Ich sehe ihm ins Gesicht. Mit einem verlegenen Schulterzucken deutet er auf die Blumen. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.
»Gern«, sage ich.
Als hätte ich auch nur im Traum daran gedacht, sein Angebot auszuschlagen. Ich sehne mich geradezu verzweifelt danach, dieser Wohnung für ein paar Stunden zu entfliehen.
Mutter macht Anstalten, etwas zu sagen, aber ich drücke ihr nur meine Hälfte der Blumen in die Hand und wende mich ab. Elliott nimmt mich am Arm. Ich winke Vater flüchtig und schuldbewusst zu, dann machen wir uns auf den Weg.
Elliott hastet vor mir her den Flur entlang zum Aufzug.
In der verspiegelten Wand der Aufzugkabine sehe ich diesmal kein exotisches Geschöpf hinter einer Fassade aus Make-up und Pailletten, sondern mich selbst. Ich hasse mein Spiegelbild.
Wäre April jetzt hier, würde sie einen Hauch Glitzerpuder auf meine Wangen pinseln, damit ich mich ein
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