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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethany Griffin
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schließlich.
    Entsetzt starre ich ihn an. Und das aus dem Mund des Mannes, der für die Wissenschaft lebt. Für seine Erfindungen.
    Ich lasse mich zwischen meinen Eltern auf die Couch fallen. In unangenehmem Schweigen bleiben wir so sitzen, bis die Sonne aufgeht. Jedes Mal, wenn der Boden erbebt, schnappt Mutter nach Luft. Ich presse meine Füße fest auf den Boden und meine Arme fest in die Sofakissen.
    »Wie würde unser Leben aussehen, wenn die Seuche nie über uns gekommen wäre?« Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, wünsche ich mir, ich könnte sie ungesagt machen.
    »Du wärst zur Schule gegangen«, antwortet Mutter ohne Umschweife. »Wir hätten reisen können. Dein Vater hatte eine ausgezeichnete Position an der Universität. Du und …«
    »Es gibt kein ›Was wäre, wenn‹«, unterbricht Vater sie. »Die Seuche ist ausgebrochen und damit Schluss.«
    Wir sitzen da. Schweigend und voller Angst.
    »Vater«, presse ich schließlich mühsam hervor. »Kannst du mir etwas über die Masken erzählen? Wie du sie entwickelt hast?«
    Er mustert mich einen Moment lang. Möglicherweise ist er der Ansicht, dass nur eins für mich wichtig ist: dass man die Masken mit niemandem teilen darf, nicht einmal mit dem eigenen Zwillingsbruder. Aber Vater ist kein grausamer Mensch. Falls er diesen Gedanken im Sinn gehabt haben sollte, behält er ihn für sich.
    »Ich darf nicht darüber reden«, sagt er. »Der Prinz hat gedroht, er schneidet mir die Zunge heraus …«
    Wieder entfährt Mutter ein wimmernder Laut. Vater wendet sich ab, als schäme er sich dafür, dass er ihr Angst gemacht hat. Aber vielleicht liegt es auch an meiner schockierten Miene.
    Mir ist durchaus bewusst, dass Vater gefährlich lebt. Er hat seine Popularität dafür benutzt, dass wir hier leben dürfen, weit weg vom Gefängnis des Prinzen, ohne sich davon beeindrucken zu lassen, dass der Prinz sich von ihm hintergangen fühlt. Aber er hat nie erzählt, dass Prinz Prospero ihm unverblümt gedroht hat. Vater die Pläne für die Herstellung der Masken zu stehlen und sie Elliott zu bringen, könnte das fragile Gleichgewicht, dem wir es zu verdanken haben, dass wir frei sind, gewaltig gefährden.
    Als es Zeit für das Frühstück wird, tauchen die Dienstboten auf, verängstigt und mit nach Rauch stinkenden Kleidern. Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, indem sie zur Arbeit erschienen sind. Aber in diesen Zeiten sind Jobs Mangelware. Unser Kurier erscheint als Letzter, und seine Maske sitzt schief. Als Vater ihn ins Labor führt, um sie zu reparieren, folge ich den beiden und lausche.
    »Wann ist das passiert?«, fragt Vater und nimmt die Maske in Augenschein.
    »Männer waren überall auf den Straßen. Sie haben Brände gelegt und geplündert.« Die Stimme des Kuriers wird leiser, sodass ich die Ohren spitzen muss. »Sollte ich mich angesteckt haben, kümmern Sie sich bitte um meine Tochter.« Seine Stimme verklingt.
    »Es gibt keinen Grund zur Sorge«, sagt Vater freundlich und reicht ihm die Maske. Trotzdem macht er keine Anstalten, seine eigene Maske abzunehmen.
    Nach Sonnenaufgang sind die Brände nicht mehr zu erkennen. Ich stehe am Fenster in meinem Zimmer und blicke auf den Fluss hinunter. Will und ich haben keine Brücken überquert, als er mich nach Hause begleitet hat. Das bedeutet, dass er auf dieser Seite des Flusses lebt. Ich lasse den Blick über die Unterstadt schweifen und halte nach Rauchwolken Ausschau. Bestimmt geht es ihnen gut, sage ich mir.
    Die Stadt ist denkbar einfach angelegt: Die Oberstadt liegt etwas erhöht und in der Nähe des Hafens, wohingegen sich die Unterstadt an einer sumpfigen Meeresbucht befindet. Der Fluss schlängelt sich um den am tiefsten gelegenen Teil der Stadt. Die Straßen – besser gesagt, das, was von ihnen noch übrig ist – bilden eine Art Gitternetz, auf das ich von unserem Penthouse hinunterblicken kann, nur dass an manchen Stellen inzwischen längst Bäume stehen und Gras wuchert, wo sich einst Straßenzüge befanden.
    Aber heute erkenne ich die Welt kaum wieder, und selbst mein Zimmer fühlt sich in der sterilen Atmosphäre der Wohnung fremd und unwirtlich an. Wäre April jetzt hier, würde sie nur lachen und mir einen Drink anbieten. Wir würden einander zuprosten und auf irgendetwas Banales die Gläser erheben. Wir würden nicht darüber reden, wie unser Leben eigentlich sein sollte. Wissen würden wir es trotzdem beide.
    Ich wende mich ab und gehe vor dem Fenster auf und ab. Ohne April und ihre

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