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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethany Griffin
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Dampfkutsche sitze ich hier fest.
    Die Stunden ziehen sich endlos dahin. Es wird Mittag. Die Köchin sagt, sie hätte meinen Fresskorb zu der Adresse in der Unterstadt bringen lassen, die ich ihr gegeben habe. Nach dem Mittagessen spielt Mutter Klavier. Das ist ihre Art zu vergessen.
    Statt in seinem Labor zu arbeiten, sitzt Vater auf dem Sofa und starrt zum Fenster hinaus. Solange er die Wohnung nicht verlässt, kann ich sein Labor nicht durchsuchen.
    Die Gewissheit, dass ich gar nicht erst die Gelegenheit bekomme, ihn zu bestehlen, erfüllt mich mit Erleichterung – gefolgt von Gewissensbissen, weil ich so ein Feigling bin.
    »Mutter hat mir das Geld gegeben«, sage ich. »Ich möchte eine Kindermaske haben.«
    Vater notiert die entsprechenden Anweisungen auf einem Zettel und unterschreibt ihn.
    Inzwischen ist unser Kurier auf seinem Posten auf dem Flur. Wie die meisten Menschen in unserer Schicht müssen wir praktisch nie das Haus verlassen. Wir bezahlen sie dafür, dass sie sich den Keimen und der Gewalt auf den Straßen aussetzen. Das Problem ist nur, dass ich unbedingt nach draußen will. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Aber ich darf das Haus nur in Aprils oder Vaters Begleitung verlassen. Und wenn ich nicht in den Club gehe, kann ich auch Will nicht wiedersehen.
    Ich erteile dem Kurier genaue Anweisungen. Er ist schon etwas älter, dünn und mit beginnender Glatze. Erschaudernd erinnere ich mich daran, was Mutter gesagt hat: Dass sie ihn losgeschickt haben, um unter den Leichen nach April zu suchen. Folglich musste er sie anfassen … Ich zwinge mich, den Gedanken beiseitezuschieben.
    »Haben Sie Kinder?«, frage ich, als mir das Gespräch zwischen ihm und Vater wieder einfällt.
    »Eine Tochter«, antwortet er.
    »Hat sie ihre eigene Maske?«
    »Nein, noch nicht. Sie ist noch zu klein, um zur Schule zu gehen. Wir sparen gerade …«
    Ich streiche Vaters Anweisungen durch und ersetze sie durch zwei Masken in Kindergröße anstelle von einer.
    »Ma’am?« Er starrt auf den Zettel.
    »Keine Sorge, meine Eltern können es sich leisten«, beruhige ich ihn.
    Er faltet den Zettel sorgsam zusammen und verstaut ihn in seiner Innentasche, dann geht er zur Treppe. Kuriere dürfen nicht mit dem Fahrstuhl fahren. Ich überlege kurz, ob ich ihm nachlaufen und in die Fabrik begleiten soll. Aber als Frau auf offener Straße … wir bezahlen ihm nicht so viel wie einem Leibwächter. Es wäre ihm gegenüber nicht fair. Also kehre ich in die Wohnung zurück.
    In der Diele stoße ich um ein Haar mit Vater zusammen. Er tätschelt meinen Arm.
    »Du bist so erwachsen geworden. Eigentlich wollte ich immer ein Porträt von dir malen lassen, und heute bereue ich, dass ich gewartet habe, bis es zu spät war.«
    Ich frage nicht, was genau er mit zu spät meint – weil ich inzwischen zu alt bin oder weil er ein Porträt von seinen beiden Kindern haben wollte?
    »Ich werde nach unten gehen, um mir ein Bild vom Schaden zu machen«, sagt er mit freundlicher, vager Stimme. Vielleicht denkt er, dass Mutter uns zuhört.
    Als er weg ist, schlüpfe ich schnell in sein Labor. Über einem Brenner, der ganz ähnlich aussieht wie der, auf dem Will das Frühstück für Elise und Henry zubereitet hat, köchelt in einem Becherglas eine helle Flüssigkeit blubbernd vor sich hin. In den Regalen auf der rechten Seite des Raums stehen Gläser mit allerlei toten Insekten, die meisten davon Heuschrecken.
    Vaters Notizen liegen überall verstreut herum, nur der große Holzschreibtisch ist vollkommen leer. Ich trete über die Schwelle, mache einen Schritt und noch einen. Vater wird nicht lange fort sein. Ich durchquere den Raum und trete vor den Schreibtisch. Die oberste Schublade ist leer. Kein Tintenfass, kein Federkiel oder sonstige Utensilien, die man in einem Schreibtisch aufbewahren würde. Dasselbe gilt für die zweite Schublade.
    In der dritten Schublade liegen allerlei Unterlagen. Ich ziehe ein gefaltetes Blatt Papier mit einer Zeichnung heraus. Es sieht wie der Plan für ein … Luftschiff aus? Unmöglich steht in Vaters Handschrift auf dem oberen Blattrand. Dem Jungen sagen, dass das Ding niemals fliegen wird.
    Ich höre ein Geräusch und zucke zusammen. Dann merke ich, dass es die Köchin ist, die das Wohnzimmer betreten hat, um Mutter irgendetwas zu fragen.
    In der nächsten Schublade stoße ich auf einen Stapel sorgfältig beschrifteter Unterlagen. Zeichnungen, Diagramme, Konstruktionsanweisungen. Alles, was man brauchen könnte, um eine

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