Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Ich bin sicher, dass seine aufkeimende Panik nicht gespielt ist.
Ich berühre sein Gesicht. »Du wirst dich schon daran gewöhnen. So wie alle anderen auch.« Seine Wange fühlt sich warm an. Es schockiert mich so sehr, hier zu stehen und ihn zu berühren, dass ich am liebsten meine Hand wegziehen würde, aber er sieht so verletzlich aus.
»Wohl kaum, aber es ist nett von dir, so etwas zu sagen.« In seiner Stimme schwingt eine ungewohnte Wärme mit, trotzdem klingt sie nicht so sanft wie die, die hinter uns ertönt.
»Wenn ihr damit warten könntet, bis ihr im Club seid, würde ich gern die Untersuchung durchführen.«
Schlagartig habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so dicht vor Elliott stehe und meine Hand immer noch auf seiner Wange liegt.
Es gibt so vieles, was ich Will sagen will, so viele Fragen, die ich an ihn habe. Haben die Bomben auch in der Gegend eingeschlagen, wo er wohnt? Hatten die Kinder große Angst? Geht es ihnen gut? Kein Husten? Kein Ausschlag? Haben sie die Lebensmittel bekommen, die ich geschickt habe? Doch ich bin so verlegen, dass ich die Zähne nicht auseinanderbekomme. Ich kann ihm nicht erzählen, dass ich eine Maske für Henry besorgen wollte, weil die Geste längst keine Bedeutung mehr hat und meine guten Absichten sinnlos sind, solange Elliott und ich unsere Pläne nicht in die Tat umsetzen können.
Zu meinem Entsetzen folgt Elliott mir in den Untersuchungsraum. Ich will unbedingt ein paar Minuten allein mit Will sein, aber Elliott scheint mit seiner Arroganz den gesamten Raum zu dominieren. Ohne mich anzusehen, fordert Will mich mit einer Geste auf, den Ärmel hochzurollen.
»Wer hat die Kutsche meiner Schwester weggefahren?«, fragt Elliott.
»Da musst du einen der Türsteher fragen. Die kümmern sich um solche Dinge.« Wills Finger fühlen sich kühl auf meinem Unterarm an. Er sieht mich zwar nicht an, doch seine Finger verharren einen Moment auf meinem Arm, länger als unbedingt nötig.
»Finde es heraus.«
Will legt mir die Hand auf die Schulter und bedeutet mir, in das Ding mit dem Uhrwerk zu atmen, dessen Ziffernblatt sich wild hin und her dreht.
»Ist sie sauber?«, fragt Elliott.
»Natürlich.«
Elliotts Brauen schießen hoch.
Die beiden Männer stehen da und mustern einander abwägend. Ich sollte hineingehen. Und allein nach oben laufen. Für Elliott. Aber Will hält immer noch meinen Arm fest.
»Ich brauche jemanden, der meine Privaträume aufschließt«, sagt Elliott. »Sieht so aus, als hätte ich die Schlüssel verlegt.«
Ich versuche, Will in die Augen zu sehen, doch sein Blick klebt immer noch an Elliott. Schließlich befreie ich meinen Arm aus seinem Griff. Er tritt einen Schritt auf Elliott zu, um ihn zu untersuchen, während ich aus dem Untersuchungsraum schlüpfe. Ich male mir aus, ein leises Klackern zu hören, als ich durch den Perlenvorhang trete. Aprils Lachen fehlt mir. Heute Abend fühlt sich der Debauchery Club ganz anders an als sonst.
Statt durch die Räume im unteren Stockwerk zu schlendern, gehe ich geradewegs zur Treppe, vorbei an den überfüllten Räumen und durch Bibliotheken, in denen Männer kichernden Mädchen leise Geheimnisse ins Ohr flüstern.
Ich gehe einen langen Korridor entlang. Nach wenigen Metern stolpere ich über eine Unebenheit im Boden und muss zwei Stufen hinuntergehen. Der Korridor sieht zwar immer noch genau gleich aus, mit demselben Teppich und denselben dunklen Holzvertäfelungen, trotzdem bin ich ziemlich sicher, dass ich mich jetzt in einem anderen Gebäude befinde. Ich folge Elliotts Beschreibung bis zu der Tür in einen Raum, der mit denselben schweren, reich verzierten Möbeln ausgestattet ist wie der restliche Club.
An der hinteren Wand hängt ein Teppich: hellrote Vögel, die in einem Baum mit verwelkten lila Blüten nisten. Dahinter befindet sich eine Tür, die in ein stockdunkles Treppenhaus führt. Am liebsten würde ich kehrtmachen und in die unteren Stockwerke zurückgehen, zurück zu all den lachenden, trinkenden Menschen. Die Dunkelheit ist drückend, die Luft abgestanden.
Ich straffe die Schultern und steige auf Zehenspitzen die Treppe hinauf, bis ich zu einem von Türen gesäumten Korridor gelange. Einige der Türen stehen offen. Es ist still. In den Zimmern sitzen ältere Clubmitglieder und spielen Karten. Einer von ihnen sieht mir direkt ins Gesicht. Ich habe noch nie jemanden mit so kalten Augen gesehen.
Elliott sagt, die Seuche hätte ihnen ihre Familien und ihren Reichtum genommen.
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