Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Tür verhindern, dass wir die ständige Anwesenheit der Wachleute auf dem Korridor vergessen. Elliott tippt mit der Spitze seines Gehstocks auf den gefliesten Boden. Das Geräusch scheint ihm zu gefallen.
Mutter tritt hinter mir aus dem Zimmer. Das Rascheln ihres langen Rocks auf den Bodenfliesen erinnert mich an die Zeit vor der Seuche, an eine Welt, in der die Frauen noch lange Röcke und Kleider tragen konnten. An eine Welt ohne Masken.
»Passt gut auf euch auf«, sagt Vater. Elliott sieht ihn an. Es ist, als tauschten die beiden Männer ein unsichtbares Nicken. Es schmerzt mich, dass Vater sich weigert, mich anzusehen.
Mein Gedichtbändchen liegt auf einem Beistelltisch. Als ich es nehme, fällt Elliotts Nachricht heraus und trudelt zu Boden.
Mutter bückt sich, um sie aufzuheben, aber Elliott ist schneller. Er stellt sich vor Mutter, zieht eine kleine quadratische Schachtel aus seiner Tasche und tritt dabei auf den Zettel.
»Glauben Sie, der hier gefällt ihr?«, fragt er und öffnet die Schachtel.
»Nein.«
Als ihr bewusst wird, wie barsch sie klingt, schlägt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Araby sind Dinge wie Schmuck nicht so wichtig«, sagt sie schnell. »Aber die meisten anderen Mädchen würden ihn wohl sehr schön finden.«
Elliott lacht auf. Sein unangemessenes Gelächter mag ich am liebsten an ihm. Er bückt sich und hebt den Zettel auf.
»Es könnte sein, dass man uns bittet, über Nacht zu bleiben«, sagt Elliott zu Mutter. »Machen Sie sich keine Sorgen. Bei mir ist sie in Sicherheit.«
Meine Eltern blicken mich an, als müssten sie sich meine Gesichtszüge einprägen. Ich frage mich, wie oft sie sich gewünscht haben, sie hätten dasselbe mit Finn getan. Einen Moment lang habe ich Zweifel, ob ich sie allein lassen kann. Ich sehne mich danach, zu Vater zu laufen und ihn um Verzeihung zu bitten und den verängstigten Ausdruck aus Mutters Augen zu verjagen.
Aber wenn ich das tue, sitze ich hier fest, ohne die Chance, April oder sonst jemandem helfen zu können.
Wir gehen zur Tür, vor der uns die unfreundlichen Wachen bereits erwarten. Ich glaube nicht, dass sie uns mit Absicht den Weg vertreten. Einer der Männer sieht mich an. Unwillkürlich wandert meine Hand zu meinem Rock, um ihn zurechtzuzupfen, als mir bewusst wird, dass es ja nicht nötig ist, weil ich Mutters sittsames violettes Kleid trage. Selbst als wir in die Eingangshalle treten, spüre ich noch ihre Blicke in meinem Rücken.
Drei Stühle stehen dort, wo bislang nur ein einziger stand. Ist es vertretbar, dass die Soldaten des Prinzen sich hinsetzen, während sie uns ausspionieren?
»Das waren Männer von Prosperos Leibgarde«, sagt Elliott.
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass dem Prinzen die Sicherheit deines Vaters sehr wichtig ist.«
Elliott reicht mir den zusammengefalteten Zettel.
»Du musst besser aufpassen.«
»Ich werde es versuchen«, sage ich. »Aber es ist schwer, so raffiniert zu sein wie du.«
»Du schmeichelst mir.« Er lächelt und sieht mich das erste Mal an diesem Tag richtig an. »Du siehst sehr elegant aus«, bemerkt er und zupft sich einen imaginären Fussel vom Ärmel.
»Danke.« Ich bin mir nie sicher, wie ich auf seine Komplimente reagieren soll. Ob sie aufrichtig gemeint sind oder nicht.
Wir gehen die Treppe hinunter, manchmal nebeneinander, manchmal geht er ein paar Stufen voraus. Schließlich treten wir in die Lobby.
»Ich war noch nie im Palast des Prinzen«, sage ich und sehe zu unseren gewohnten Wachen hinüber. Als sie merken, dass Vater nicht bei mir ist, nicken sie Elliott zu und wenden sich wieder ihrem Würfelspiel zu.
»Du solltest dankbar sein«, sagt Elliott düster. »Es ist ein Beweis dafür, wie sehr dein Vater dich liebt.«
Trotzdem hebt er mich in seine Dampfkutsche und bringt mich ins Schloss. Vater liebt mich. Elliott nicht. Und ich habe Vater verraten, weil Elliott es von mir verlangt hat. Ich schließe die Augen, während die Straßen an mir vorüberziehen.
Als wir die Stadt hinter uns gelassen haben, öffne ich die Augen wieder und sehe mich um. Es ist Jahre her, seit ich die Stadt das letzte Mal wirklich verlassen habe. Die Luft ist ganz anders hier, doch so gern ich meine Maske abnehmen würde, traue ich mich nicht. Die Tiere im Wald tragen die Krankheitserreger ebenfalls in sich.
Als Finn noch lebte, hat Vater häufig ein Pferd und einen Wagen ausgeliehen, um mit uns zum Picknicken hinauszufahren. Es ist schon erstaunlich, wie beharrlich wir an
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