Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
lang in der Hand. Es widerstrebt mir, ihn vor Mutters Augen zu öffnen, doch sie steht vor mir und sieht mich abwartend an.
Ich breche das Siegel mit dem Fingernagel auf und beginne zu lesen.
Ich habe den gestrigen Abend mit dir sehr genossen. Man hat uns eingeladen, Prinz Prospero im Schloss zu besuchen. Ich werde dich morgen kurz vor der Mittagszeit abholen.
E.
Mein erster Gedanke ist, dass er etwas über Aprils Verbleib herausgefunden hat, doch dann fällt mir auf, dass das Wort eingeladen irgendwie seltsam aussieht. Ich halte den Brief ins Licht und erkenne, dass er mit einem anderen Wort angefangen hatte. Beordert? In Wahrheit wurden wir also gar nicht eingeladen. Ich falte den Brief mehrere Male zusammen.
Mutter arrangiert Rosen in einer mit Edelsteinen besetzten Vase und tut so, als würde sie mich nicht beachten.
»Was ziehe ich am besten für einen Besuch beim Prinzen an?«, frage ich.
Die Vase entgleitet ihr und zerschellt auf dem Fußboden.
»Geh nicht, Araby«, sagt Vater. »Es ist gefährlich.«
»Das ist Atmen auch.«
»Aber nicht so. Araby …«
Er hat meinen Namen gesagt. Zweimal innerhalb von zwei Atemzügen. Ich könnte mich daran gewöhnen. Es klingt fast, als läge ich ihm tatsächlich am Herzen.
In diesem Moment wird die Eingangstür aufgerissen. Zwei Soldaten in der Uniform des Prinzen stürmen herein.
»Wir wollten nur sichergehen, dass Dr. Worth in Sicherheit ist«, sagt einer der Männer. »Der Prinz hat den Befehl erteilt, in regelmäßigen Abständen die Wohnung zu überprüfen.« Sie sind beide bewaffnet. In unseren vier Wänden. Ich lasse den Blick über ihre Uniformen schweifen, auf der Suche nach dem Symbol mit dem geöffneten Auge an ihren Uniformen, das mir verraten hätte, dass es in Wahrheit Elliotts Männer sind. Doch ich kann es nirgendwo entdecken.
Mutter lässt sich auf die Couch sinken, und Vater tritt neben sie.
»Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie das nächste Mal anklopfen würden«, sagt er. »Meine Frau neigt zu Nervosität.«
Die Soldaten verlagern unbehaglich das Gewicht von einem Bein aufs andere. Das Ganze ist ihnen peinlich, doch sie sind bei Weitem nicht so höflich wie die Wachen, die sonst auf Vater aufpassen.
Ich bin verantwortlich dafür, dass sie hier sind. Weil ich mit Elliott in Kontakt stehe. Oder weil ich irgendeinen anderen Fehler begangen habe. Wie alles andere ist auch das hier meine Schuld.
Z WÖLF
I n dem Wissen, dass die Wachen vor der Tür stehen und lauschen, fallen unsere Gespräche an diesem Abend knapper aus als gewöhnlich. Vater kommt zu mir ins Zimmer und mixt meinen Schlaftrunk persönlich.
»Araby …«
Ich habe Elliotts Brief in der Hand. »Das hier ist keine Einladung.«
»Stimmt. Aber ich habe es auch schon früher geschafft, mich seinen Befehlen zu entziehen. Es gibt Mittel und Wege …«
Dies ist der richtige Moment, ihn zu fragen, was hier gespielt wird.
»Wer waren diese Männer in der Buchhandlung?«
Er sieht mich aufrichtig überrascht an.
»Junge Wissenschaftler, von deren Existenz der Prinz nichts weiß«, sagt er. »Sie brauchen meine Unterstützung.«
Ich denke an die Zeichnung mit der rätselhaften Botschaft in seiner Schreibtischschublade. Dem Jungen sagen, dass das Ding niemals fliegen wird. Er hasst es, dass der Prinz die Wissenschaft kontrolliert. Ist das alles? Ansonsten besteht keine Verbindung zu den Männern?
Inzwischen hat er meinen Trunk zusammengemischt und beugt sich vor, um mich ungelenk zu umarmen. Die Geste verblüfft mich viel zu sehr, um ihn noch weiter zu löchern.
Am nächsten Morgen erscheint unser Kurier zwei Minuten zu spät zur Arbeit. Ich merke es nur, weil Mutter es erwähnt.
»Dein Vater ist nach unten gegangen, um mit seinen Wachen über diese neuen Soldaten zu reden. Er ist sehr besorgt.« Sie wartet, doch ich erwidere nichts darauf. »Dein Vater«, fährt sie zögernd fort, »sagt, dass ich euch beide vielleicht bei eurem Spaziergang begleiten sollte.«
Mir bleibt der Bissen trockenes Brot im Hals stecken.
Mutter verlässt die Wohnung so gut wie nie und das Gebäude schon gar nicht.
»Ich würde es ja tun, wenn du auch mitkämst, Araby.«
Ich seufze, sage jedoch nichts darauf. Ich kann es nicht ausstehen, dass sie einfach alles ignoriert, was ihr nicht passt. Ich wurde ins Schloss des Prinzen beordert. Selbst wenn ich mich hinter Vater verstecken könnte, könnte es doch sein, dass April mich braucht. Mutter setzt sich ans Klavier und beginnt Tonleitern zu
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