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Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bethany Griffin
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mir ins Gesicht sehen zu müssen.
    »Ich muss ihr aber einen Abschiedskuss geben«, erklärt Elise.
    »Elise, komm her.«
    Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und schiebt ihre kleine Hand durch die Gitterstäbe. »Ich konnte Mutter nie Auf Wiedersehen sagen.«
    Diesem Argument kann er sich offenbar nicht verschließen. Er durchquert den Raum und hebt sie hoch. Sie schiebt ihre Maske zur Seite. Sorgsam darauf bedacht, ihm nicht in die Augen zu sehen, lasse ich mich von Elise küssen.
    »Sei ein braves Mädchen«, sage ich zu ihr. »Und pass gut auf deine Brüder auf.«
    Der Reverend steht mit auf dem Rücken verschränkten Händen da und schüttelt nur den Kopf. Auf seinem Gesicht liegt der Anflug eines Lächelns.
    »Ich komme wieder, wenn ich kann«, flüstert Will. Er lässt mich also tatsächlich hier zurück. Ich wende mich ab.
    »Araby?«
    Ich hasse mich dafür, dass ich mich ihm noch einmal zuwende. Er zieht etwas aus seiner Hosentasche und streckt die Hand durch die Gitterstäbe.
    Ich strecke die Hand danach aus. Der Brillantring fällt in meine Handfläche. Lange Zeit sehen wir einander wortlos an. Was gibt es noch zu sagen? Ich bezweifle, dass sich die Leute, die mich hier gefangen halten, von einem Brillanten beeindruckt zeigen werden, noch dazu, wo sie ja nur zu warten brauchen, bis ich tot bin, um ihn sich unter den Nagel zu reißen.
    Mit gesenktem Kopf führt Will die Kinder hinaus, gefolgt von Reverend Malcontent.
    Ich hasse Will dafür, dass er mich im Stich lässt, und ich hasse mich selbst dafür, dass ich mir wünsche, er möge sich noch einmal umdrehen und irgendetwas zu mir sagen. Irgendetwas, das es wert macht, diese Nacht zu überleben. Seine Berührung fehlt mir, und allein dieser Gedanke macht mich ganz krank.
    Am anderen Ende der Zelle befindet sich ein kleines Fenster auf Höhe des Bürgersteigs. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle, kann ich einen Blick auf den brennenden Hafen erhaschen.
    Das Dampfschiff ist zerstört, und die wenigen Teile, die noch übrig geblieben sind, stehen in Flammen – wahrscheinlich von den Gaslampen, die überall an der Takelage angebracht worden waren. Elliott hat mitten auf dem Deck gestanden. Gibt es auch nur den Hauch einer Chance, dass er noch lebt?
    Ist Elliott in dem Glauben gestorben, dass ich ihn im Stich gelassen habe? Dass ich ihn verraten habe?
    Habe ich nicht genau das getan?
    Rauchsäulen steigen vor dem winzigen Fenster auf. Ich sehe Leute, die schreiend vorbeilaufen. Zwei Männer streiten sich, schlagen und treten wie von Sinnen aufeinander ein.
    Ich wende mich ab, denke an meine Eltern. An April. Ich hoffe, Will gelingt es, die Kinder sicher nach Hause zu bringen. Meine Wange ist immer noch feucht von Elises Kuss.
    Inzwischen ist nichts mehr von der Discovery zu sehen. Sie ist fort. Elliott ist fort. Ich rolle mich unter einer fadenscheinigen Decke zusammen, doch mir will einfach nicht warm werden.
    Das Messer, das Elliott mir gegeben hat, steckt immer noch in meinem Stiefel. Ich ziehe es heraus und berühre das kalte Metall, drücke die Klinge in die Haut über meinem Handgelenk. Ich könnte all dem ein Ende bereiten. Vergessen. Nie wieder Schuldgefühle. Nie wieder den Schmerz des Verrats empfinden. Auf diese Weise ist auch Finn gestorben. Er ist verblutet.
    Lange Zeit habe ich gegen die Verlockung des Todes angekämpft. Nach Finns Tod war ich verloren, ohne jeden Halt, genauso wie meine Eltern. Sie sollten für mich da sein, sich um mich kümmern, doch sie schafften es nicht. Morgens stand ich ganz allein auf und aß, was man mir vorsetzte. Wenn jemand mich anlächelte, versuchte ich zurückzulächeln.
    Alles war vollkommen surreal, falsch, aufgesetzt. Mein Leben war eine einzige Illusion, mein Glück reine Fassade.
    Mutter kehrte zu uns zurück, aber ich konnte niemals vergessen, wie es war und was sie vorfand.
    Während des ganzen ersten Jahres bestand sie darauf, dass wir gemeinsam in einem Zimmer schliefen, und die ganze Nacht hindurch streckte sie immer wieder die Hand nach mir aus und berührte mich, als müsse sie sich vergewissern, dass ich noch atmete.
    Aber solange ich ihr nicht vergab, solange ich mich an meinen Zorn klammerte, war ich nicht gezwungen, mich meinen eigenen Schuldgefühlen zu stellen. Und dann, als April in mein Leben trat, lernte ich, mich in eine andere Araby zu verwandeln. Zwar vergaß ich meinen Kummer keine Sekunde lang, aber zumindest fand ich Mittel und Wege, mein Bewusstsein für eine Weile

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