Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
Ich sehe gerade noch rechtzeitig nach oben, um zu sehen, wie Flammen aus dem Schiffsrumpf steigen und der Schornstein umkippt, geradewegs in die schreiende Menge hinein.
V IERUNDZWANZIG
L os, schafft sie in den Tunnel«, schreit der Mann. Brennende Schiffsteile regnen vom Himmel, und meine Augen beginnen zu tränen. Etwas Blutiges landet platschend vor meinen Füßen. Jemand stößt mich nach vorn, weg von der schreienden Menge und in eine Seitengasse.
Ein ausgebleichtes Schild mit einem Kraken hängt über dem Eingang einer Taverne, die seit Jahren geschlossen ist. Will hilft mir über einen riesigen Abfallhaufen hinweg. Dann hebt der hinkende Mann eine Plane an und bedeutet mir, eine Leiter hinunterzuklettern. Ich schüttle den Kopf.
Eine zweite, noch lautere Explosion erschüttert den Pier. Will schließt mich für einen Moment in die Arme und hält mich fest, dann schiebt er mich weg. Wir sprechen kein Wort. Mein Kopf schmerzt von all dem Lärm. Ich stelle die Füße auf die Sprossen und klettere hinunter. Unmittelbar vor mir, zwischen den rostigen Sprossen, prangt ein geschwungenes Auge, das Symbol, das Elliott für seinen Aufstand benutzen wollte. Wahrscheinlich ist Elliott tot.
»Das ist die Tochter des Wissenschaftlers«, bemerkt der Mann. Es ist keine Frage. Schließlich hat er es vor wenigen Minuten vor all den Menschen am Dock angekündigt. Er weiß ganz genau, wer ich bin.
»Ich habe sie hergebracht, Reverend«, sagt Will. »Wie ich es versprochen habe.«
Natürlich. Der Pier war der perfekte Ort für einen Priester, um sich Gehör zu verschaffen. Und wer sonst könnte für dieses Chaos verantwortlich sein und Elliotts Pläne so jäh zerstören? Ich habe nie bezweifelt, dass ich Reverend Malcontent eines Tages begegnen würde, aber ganz bestimmt nicht unter diesen Umständen.
Ich versuche zurückzuweichen, doch Will schiebt mich nach vorn. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es war. Ich trete ihm mit aller Kraft auf den Fuß, und er stößt einen Fluch aus.
Malcontent legt die Arme um meine Taille. Ich trete und schlage wild um mich, als er versucht, mich durch eine Tür zu zerren. Für einen kurzen Moment gelingt es mir, mich ihm zu entwinden, doch dann ist Will bereits zur Stelle und packt mich.
»Es wäre besser, wenn du dich nicht wehren würdest«, sagt er.
Ich ramme ihm den Ellbogen in die Rippen, doch bevor ich erneut entwischen kann, stößt mich Malcontent grob in eine Zelle mit einer Holztür.
Durch die vergitterte Luke in der Tür beobachte ich, wie Will dem Mann ein schwarzes Büchlein gibt. Das Tagebuch meines Vaters.
Der Reverend lächelt. »Warte hier«, sagt er und verschwindet in einem weiteren Tunnel.
Will bleibt allein im Raum zurück. Ich sehe sein Profil. Er sieht unerträglich attraktiv aus. Seine Wangenknochen wirken noch höher, seine Wimpern noch dunkler als sonst. Er wartet schweigend, ohne Notiz von mir zu nehmen.
Ich packe die Gitterstreben und öffne den Mund, um seinen Namen zu rufen, ihn zu bitten, mir zu helfen. Doch bevor ich Gelegenheit dazu habe, sehe ich, wie der Reverend zurückkehrt und Henry und Elise vor sich herschiebt. Die Kinder tragen ihre Masken. Henrys Maske hat zwar einen Sprung, scheint zum Glück jedoch immer noch intakt zu sein. Will geht auf die Knie und schließt die beiden in die Arme.
»Wie versprochen«, sagt der Reverend.
Will führt die Kinder zur Tür, wo er stehen bleibt und sich noch einmal zu mir umdreht. Ich versuche nicht einmal, sein Verhalten zu deuten. Ein Teil von mir kann verstehen, wieso er so gehandelt hat, doch dieses Wissen macht es nicht weniger schmerzhaft.
»Du wirst ihr doch nichts tun, oder?«
Der Reverend lacht.
»Wenn sie unschuldig ist, wird der Herr sie beschützen.«
»Unschuldig? Inwiefern?«
Wieder lacht der Mann. »Bring die Kinder nach Hause. Heute Nacht wird es ziemlich schlimm werden auf den Straßen.«
In diesem Augenblick sieht Elise mich.
»Araby«, ruft sie. »Will, sieh nur, Araby ist auch hier! Sie kann doch mit uns nach Hause gehen.«
Elise löst sich von ihren Brüdern und kommt zur Tür gelaufen. Ich will mir lieber nicht vorstellen, wie ich aussehe – wahrscheinlich, als hätte ich komplett den Verstand verloren. Der Schmerz über Wills Verrat trifft mich mit der unerwarteten Wucht eines Schlags in die Magengrube.
»Nein, sie kann nicht mit uns kommen, Elise, tut mir leid.« Will macht keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren. Wahrscheinlich will er nicht nahe genug herankommen, um
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