Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
nicht«, sagte mein Vater und bezog sich dabei auf den Dichter Lučić. Vielleicht hatte dieser einfache Gemischtwarenhändler durchaus Talent, das ihm dann zur Falle wurde. Schriftsteller sind auch jene Menschen, die nicht schreiben. In ihm konnte sich diese Gabe jedenfalls nicht entwickeln, er hatte zu viele Sorgen, aber er lebte eigentlich, wie ein Schriftsteller lebt, er war eine Art Lebensbohemien, ein unglücklicher, wenn man so will, als habe er insgeheim geahnt, dass es nichts Abstoßenderes als einen glücklichen Schriftsteller gibt. Mir sind im Laufe meines Lebens viele fröhliche und euphorische Schriftsteller über den Weg gelaufen. Am Ende kam heraus, dass die mit ihnen verbrachte Zeit verschwendet war. Ich habe es danach immer bereut. Statt sich mit den Glücklichen auseinanderzusetzen, ist es viel sinnvoller der Frage nachzugehen, warum mediterrane Schriftsteller so sehr auf die dunklen Dinge fixiert sind, vor allem auch, warum sie sich so sehr mit dem Tod beschäftigen, während zeitgleich um sie herum alles zauberhaft und schön und dem Spiel des Lichtes und der Schatten unterworfen ist und alles von einnehmenden Gerüchen und sinnlichen Eindrücken bestimmt wird. Eine Antwort darauf wäre freilich ein Unterfangen, denn bisher konnte niemand ernsthaft darauf antworten, weil jeglicher Versuch in dieser Richtung sich wie ein banaler Witz anhört. Ich weiß nicht mehr, wer es war, der gesagt hat, dass er sich mit dem Meer und den Verlockungen des Mediterran deshalb verwandt fühle, weil er auf diese Weise seine eigene Sterblichkeit spüre und nur vor dem Hintergrund der mediterranen Schönheit seine eigene Vergänglichkeit zu berühren in der Lage sei.
Meine eigene Familiengeschichte hat mich in vielfacher Hinsicht beschäftigt, und nach all den kleinen Um- und Abwegen, die ich bisher erzählend auf mich genommen habe, möchte ich wieder auf die Schwangerschaft meiner Mutter zu sprechen kommen. Damals verbrachte ich die meiste Zeit mit ihr. Sie hatte wie nie zuvor an allem etwas auszusetzen. Vater ging sehr behutsam mit ihr um, blieb sogar häufig am Abend zu Hause. Wir beide saßen am Esstisch und Mutter lag auf dem Sofa, immer mit den Händen auf dem Bauch. Es fiel ihr schwer, sich zu bewegen, auch das Aufstehen war nicht mehr so einfach, deshalb sprangen Vater und ich ihr immer zur Seite, um ihr zu helfen. Ihr Mund war angeschwollen, wie kurz vor dem Aufplatzen. In allem war sie verlangsamt, sie wurde nur lebendig, wenn sie sich mit ihrer Schwiegermutter Vukava stritt, die Vater ins Haus geholt hatte, damit sie ihr zur Hand gehen konnte. Die alte Frau war im Streiten geübter als meine Mutter, sie hatte eine kreischende Stimme, wusste immer, wie sie die Oberhand behalten konnte, außerdem lachte sie wie eine richtige Hexe. Es war ein durchdringend gellendes Lachen, zahnlos war sie hinzu, aus ihrem Mund spuckte es nur so heraus, sodass alle um sie herum in aller Regelmäßigkeit nass wurden. Vukava hatte es sich angewöhnt, wann immer es ihr einfiel, einfach vorbeizukommen und zehn Tage am Stück zu bleiben, sie stritt sich mit meiner Mutter, bis mein Vater sie wieder nach Hause brachte. Da man sie diesmal aber gerufen hatte, fühlte sie sich wichtig und unersetzlich, so als habe man ohne sie nicht weiterleben können, als sei sie es, die den ganzen Haushalt führte, weshalb dann auch alles so laufen musste, wie sie es wollte. Einmal war ich bei Mutter im Zimmer, als sie wie eine Wahnsinnige hereinstürmte und wild auf die Schwangere einschrie: »Du liegst den ganzen Tag wie eine trächtige Kuh herum! Schau mich an, ich habe neun Kinder zur Welt gebracht, und das sogar stehend. Es hat keinem von ihnen geschadet, im Gegenteil! Aus allen ist etwas geworden, und du liegst auf diesem Sofa herum und bringst deinen armen Mann dazu, einen Mann!, dass er für dich sorgt und um dich herumtänzelt, als sei er der Idiot vom Dienst!«
Ich verteidigte meine Mutter und ihre dicken Bauch, beschimpfte Vukava so grob ich nur konnte, und ich bereute es danach überhaupt nicht, weil ich sie ohnehin nie geliebt hatte. Im Vergleich zu meiner anderen Großmutter kam sie mir vor wie jemand, mit dem ich gar nicht verwandt war. Ich sagte zu ihr, dass ich sie wie ein Tier zum Bahnhof bringen und sie dort anbinden würde, wenn sie nicht endlich von alleine ginge. Sie suchte ihre Sachen zusammen und zog schnaubend davon. Obwohl sie Vaters Mutter war, hatte ich kein Mitleid mit ihr, aber für das eine oder andere ihrer Leiden
Weitere Kostenlose Bücher