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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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dieser Welt, was ich mit meinem Blut verteidigen würde. Die Strafe, die mir der widerliche Inspektor aufgebrummt hatte, war nicht angemessen, denn selbst wenn ich mir diese »schmutzigen Bildchen« angesehen habe, so war das ja nur meine eigene Sache, die anderen zwang ich nicht dazu, das Gleiche zu tun; all das war eigentlich nicht weiter der Rede wert und kindisch. Doch hatte ich diese Bildchen auch den Mädchen gezeigt? Ja, das hatte ich, na und? War das so ein schlimmes Vergehen, dass man mich wie einen Verbrecher hinter Gittern einsperren musste? Die Einzigen, die zu mir hielten und das Bedürfnis hatten, etwas Freundliches zu tun, das waren zwei kleine Typen aus dem Zigeunerkarst, so hieß eines unserer Stadtviertel; sie kamen am Abend zu meiner Tür und spielten Harmonika für mich, bis sie jemand von dort fortscheuchte. Diese kleinen Musikanten, die heruntergekommen waren und verlotterte Strohhüte trugen, waren dankbar, dass ich ihnen in unserer Gaststube manchmal das eine oder andere Getränk spendiert hatte, deshalb wollten sie mich jetzt wohl ein bisschen erfreuen und auf diese Weise etwas ausgleichen.
    Als ich herauskam, musste ich mich bei der Lehrerin melden und wie ein Räuber irgendein Papier unterschreiben, ich sah gar nicht hin, was ich unterzeichnete, ich wollte nur so schnell wie möglich weg. Ich konnte mit ihr nicht reden, weil ich wütend war; sie hätte viel mehr für mich tun können, sie hätte sich für mich, der ich doch ihr Lieblingsschüler war, etwas engagierter einsetzen können, außerdem war ich abgekämpft, unausgeschlafen und hungrig. Zum Schluss versprach ich ihr, alles aufzuschreiben, was sich in jenen achtundvierzig Stunden ereignet hatte.
    »Vergiss nicht die kleinen Zigeuner, die für dich gespielt haben wie Kurtisanen«, sagte die Lehrerin in einem höhnischen Ton.
    Ich glaube, ich hatte selbst später als Schriftsteller nie mehr so viel Fantasie und so viele Ideen wie an jenem Tag, an dem ich die Gefängniszelle wieder verlassen durfte. Meine Eltern wussten, warum ich in der »Erziehungskammer« gelandet war, aber sie schimpften nicht mit mir, Mutter verstand nicht so recht, was daran schlimm gewesen war, während mein Vater mich umarmte und sagte, dass mit den Mädchen, das sei, wenn auch nur auf den Bildchen, ein wenig zu früh für mich. Aber auch er sah darin keine Sünde. Meine Eltern hielten zu mir, und so etwas hätte ich jedem anderen auch gewünscht. Als ich wieder zu mir gekommen war, gebadet und gegessen hatte, setzte ich mich an meinen Lieblingstisch am Erkerfenster, zog die Vorhänge zur Seite, damit jeder sehen konnte, dass ich nun meinen Aufsatz über die achtundvierzig Stunden schrieb. Die Ideen sprangen nur so in meinem Kopf herum und die Rache trieb mich dazu, mir unzählige Ereignisse auszudenken. Ich schrieb über die Lehrerin, notierte, dass sie mich in der Kammer besucht hatte, zu mir gekommen war, auf einem Servierteller allerlei Leckereien mitgebracht und sich für mich nackt ausgezogen, mir alles gezeigt hatte, was an einer Frau interessant war, und am Ende gesagt hatte, dass sie schöner sei als alle diese Königinnen auf meinen Karten. Und als ich mein Lügengebilde danach durchlas, begriff ich sofort, wie kümmerlich die Rache einen machen konnte, ich lernte daraus, und später, als ich Schriftsteller wurde, versuchte ich, alle Rachegefühle aus meinen Texten fernzuhalten, weil sie nur zur Dümmlichkeit und zu nichts anderem führt. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass für mich die schönere Arbeit des Schreibens ohnehin darin liegt, das Geschriebene zu korrigieren, es ist interessanter für mich, als etwas Neues zu schreiben. Und wenn ich mich als Schriftsteller beschreiben müsste, dann könnte ich dies am besten mit der Formulierung tun, dass ich mich als einen unermüdlich korrekturwilligen Autor begreife. Ob dies gut oder schlecht ist, ist mir vollkommen gleichgültig.
    Der Tag fiel stundenweise in sich zusammen; mir lag nichts daran, über jene zu schimpfen, die mich ausspioniert und beschuldigt hatten, die »Unsittlichkeit« zu vermehren, ich wusste jedoch ganz genau, wer alles dahintersteckte. Anstelle einer Abrechnung mit ihnen habe ich über meine erste Begegnung mit dem Teufel geschrieben, befürchtete aber, dass sich das unglaubwürdig anhören könnte, und es gibt nichts Schlimmeres als ein echtes Ereignis, das sich wie eine Erfindung anhört. An Teufel glaubt heute kaum noch jemand. Aberglaube ist einvernehmlich primitiv und

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