Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
möchte ich noch etwas über dieses Haus sagen, ich habe das Bedürfnis, noch etwas über mein Geburtshaus zu erzählen, weil es sich wie ein Schatten über alle späteren Erinnerungen an andere Lebensorte gelegt hat. Nun warte ich auf den Bezug meines neuen Heims, das, so bin ich mir sicher, eine tiefe Bedeutung für mich haben wird, denn zwischen dem Geburtshaus und jenem Haus, in dem die Bilanz eines Lebens niedergeschrieben wird, ist nur noch ein großes Intervall – das Dazwischen. Heute bin ich, im fortgeschrittenen Alter, überzeugt davon, dass es nur diese beiden Häuser in meiner Wirklichkeit geben kann, alles andere aber Literatur ist.
Vater ruckelte langsam mit dem Laster über die Landstraßen, das Waldforstamt hatte uns den Wagen für den Umzug überlassen; es stellte sich heraus, dass er in diesem Gefährt die nächsten Jahre fahrend verbringen sollte, zuerst als Referent des Amtes; aber diese Arbeit mochte er nicht, er hatte nicht mehr jene Freiheiten, an die er sich als Ladenbesitzer gewöhnt hatte. Bald war er in der Gegend als Förster bekannt, der jeden Tag bis zum Ende seiner Arbeitszeit draußen verbringt, vornehmlich an einer Stadteinfahrt stehend. Er hatte sich darauf spezialisiert, sich das Brennholz der Leute anzusehen, verlangte nach der Erlaubnis fürs Holzfällen und gab jenen einen Stempel, denen man genehmigt hatte, das Holz auf dem Markt zu verkaufen, jene aber, die keine ordentlichen Dokumente vorweisen konnten, hielt er manchmal ein, zwei Stunden auf, ließ jedoch auch sie irgendwann fahren, natürlich nur mit Bestechungsgeldern, die darin bestanden, dass man ihm im Wirtshaus vor der Stadt einen Schnaps ausgab. Denn das Trinken war das eigentliche Zentrum seiner Aktivitäten.
Jetzt saß der Vater in der Kabine neben dem Fahrer, die Fahrt dauerte fast drei Stunden, obwohl die Entfernung zwischen Trebinje und N. nur etwa siebzig Kilometer betrug, die Straße aber war voller Schlaglöcher, und schon nach einer kleinen Wegstrecke, die wir für uns Habsburger Straße genannt hatten, bedeckte der Staub nicht mehr nur unseren Hof; es leuchtete ein, dass Mutter darauf gedrängt hatte, die Singer-Nähmaschine mit einer Plane zu bedecken. Und während Vater nur ruckelnd auf der Landstraße vorankam, fuhren wir in aller Ruhe mit dem Zug in L. ein; wir hatten schon mit Oma Jelica auf dem Diwan gesessen und über Mutters Niederkunft gesprochen und über alles, was uns nun in dieser Stadt erwartete, neue Menschen waren hier, die mein Vater »zu den Sternen hochgelobt« hatte, die uns aber eher ganz gewöhnlich erschienen. Wie überall waren auch hier die einen Menschen besser, die anderen schlechter, so hatte es mein Großvater Tomo immer gesehen, der ständig betonte, dass wir »alle vom gleichen Ast abgestiegen waren«.
Ein paar Tage verbrachten wir mit Großmutter Jelica ohne große Sorgen, Mutter war es wichtig, dass wir wenigstens eine Zeit lang unsere Probleme vergaßen, nun würde alles anders werden – wie es anderen Leuten erging, so würde es auch uns ergehen. Oma Jelica verlor zeitweise den Bezug zur wirklichen Welt, manche Dinge konnte sie nicht mehr mit dem richtigen Wort benennen oder verwechselte vieles miteinander – ein Teller war dann für sie ein Löffel, das Brot wurde zu einer Zuckermelone. Für mich war das sehr unterhaltsam, ich fand das lustig, aber Mutter wies mich zurecht, ich sollte aufhören, mir einen Spaß daraus zu machen, denn wer sich über den Kummer der anderen belustigte, sagte sie, würde selbst eines Tages von Kummer übermannt werden. Aber es war nicht einfach, sich einen Witz zu verkneifen, wenn mich Oma Jelica beispielsweise nach einem Abendessen plötzlich anstarrte und sagte: »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor, der Herr.« Sie stachelte meine Lachnerven geradezu an und am liebsten hätte ich mich als einen reisenden Handelsvertreter bei ihr vorgestellt, der den Akzent eines Fremden oder einen Küstendialekt spricht; die Ideen sprühten nur so aus mir heraus, aber Mutter sah mich sofort streng an und ein paar Augenblicke später war ich einfach wieder das liebe Enkelkind meiner Großmutter.
Mutter sagte, dass Omas Lämpchen mal an-, mal ausgingen, daran müssten wir uns gewöhnen. »Es tut weh, aber wir müssen uns damit anfreunden.« Wir ließen sie in ihrer Welt in L. zurück, hatten Angst um sie, aber eine Wahl hatten wir nicht wirklich, mit uns hätte sie nicht fahren können, selbst wenn dies ihr Wunsch gewesen wäre, weil Vater sie nicht
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