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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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angebracht wurde, die bisher das Ende des Zuges gewesen war. Bis das abgeschlossen war, hatten wir genug Zeit, uns draußen an der Station eine Flasche Wasser abzufüllen. Sogar zum Sodawasserverkäufer konnte man bei diesem Stopp gehen, der seinen Wagen am Bahnsteig entlangschob, ein Getränk war schnell gekauft, in der Regel lauwarmes Sodawasser oder Orangeade; und man schaffte es auch, noch im Tabakladen Zeitungen und Zigaretten zu bekommen, sogar im Gemüseladen konnte man sich in die Schlange stellen und ein bisschen Obst kaufen.
    Mutter saß im Abteil am Fenster, das halb geöffnet war, sie sah mir durch die Scheibe zu, wie ich am Gleis herumstromerte, ich war findig und beweglich, stand als Erster beim Wasser, füllte uns eine Flasche ab und kaufte Mutter eine Tüte großer saftiger Kirschen. Viele guckten sich meine bauchige schöne Zweiliterflasche an, in der das Wasser eine bläuliche Farbe annahm. So rasch ich konnte, kehrte ich wieder zurück, ich wollte neben Mutter sitzen, sie anschauen, wenn sie die Kirschen essen und mir hoffentlich etwas abgeben würde. Die Schwüle setzte uns zu und der warme Wind wehte den Staub durch die Luft, der sich auf unser Waggonfenster legte; ich rieb mir die Augen, weil es in den Lidern kribbelte, ein Körnchen war mir irgendwie ins Auge geraten, aber Mutter schlug mir jedes Mal auf die Hand, damit ich mit dem Reiben aufhörte, weil sie Angst hatte, ich könnte mir mit den schmutzigen Händen am Ende noch eine Infektion zuziehen. Während der Sommertrockenheit schossen die Funken aus dem Schornstein der Lokomotive zur Seite und entfachten Feuer am Gleisrand. Und wenn der Zug sich in Bileća langsam in Bewegung setzte, sich mehr und mehr von der Bahnstation entfernte, konnten wir noch immer von unserem Fenster aus das Lodern des Feuers und die dichten Rauchschwaden sehen.
    Meine schwangere Mutter bekam gerade in dem Moment Unterleibsschmerzen, als der Zug die leere Station Koravlica hinter sich ließ, die als solche nur durch den Schotter in einer kleinen Erdvertiefung gekennzeichnet und an einem zwischen zwei Pfeilern angebrachten Ortsschild zu erkennen war. Sie hatte Bauchkrämpfe und ich konnte förmlich zusehen, wie ihr Gesicht bleicher und bleicher wurde, bis ihr der Schweiß aus der Stirn schoss und zum Kinn rann. Sie öffnete den Mund und lechzte nach Luft; es schien, als würde sie gleich ersticken, und ich war ratlos, wusste einfach nicht, wie ich ihr helfen sollte, wie ihre Schmerzen zu lindern wären. Und was hätte ich anderes tun können, als mich an sie zu schmiegen und ihre feuchten Hände festzuhalten, so fest ich nur konnte? Ich gab ihr einen Schluck lauwarmes Wasser zu trinken und wischte ihr mit einem Taschentüchlein den Schweiß von der Stirn.
    Unsere Mitreisenden, die meisten unter ihnen waren Saisonarbeiter, saßen dicht gedrängt auf den Bänken und wussten nicht, ob es sich nur um vorübergehende Schmerzen handelte oder ob das schon die richtigen Geburtswehen waren. Ein Gewitzter unter ihnen fragte, ob es sich um eine Scheingeburt handelte, und zwinkerte dabei den anderen zu, die daraufhin zu scherzen und zu lachen begannen, als sei eine Geburt etwas Unanständiges, und sie fingen sogar an, geschmacklose und vulgäre Details über Schwangere zu erzählen. Sie machten mir mit ihrem Gerede mehr als alles andere zu schaffen, als sie dann auch noch sagten, dass ich eines Tages die teuflische Frauenhöhle schon selbst entdecken würde, und wieder lachten sie aus vollem Halse, sie konnten sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. Ich wehrte mich nicht gegen ihre verdorbene primitive Welt. Auch später fing ich keinen Streit mit solchen Dummköpfen an und unternahm auch nie den Versuch, die Fehler der anderen geradezubiegen. Manchmal tat es mir leid, dass ich solchen Menschen nicht ins Gesicht sagte, was sie zu hören verdient hätten, aber ich rechtfertigte mein Vorgehen vor mir selbst damit, dass ich ohnehin nichts ausrichten und sie niemals verändern würde. Sie aber hätten aus mir einen zornerfüllten Menschen gemacht. Ein solcher Mensch wollte ich jedoch niemals sein.
    Es kam oft vor, dass jemand mit größerer Entschiedenheit und innerer Kraft genau das tat, was ich selbst mir wünschte, aber keine Lust, keinen Mut hatte, es auch wirklich zu tun. Auch damals war es so, als zwei jüngere Männer an unserem Abteil vorbeigingen und diese »Witzeleien« der barbarisch gefühllosen Arbeiter hörten. Sie wiesen sie entschieden zurecht, stellten sich auf

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