Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Namen meiner Lehrerin darauf entdeckt, sie war auf dem Prospekt als Mitarbeiterin eines bekannten kroatischen Vogelkundlers, Prof. Konstantin Igalffyja, aufgeführt und es ging um Untersuchungen seltener Nestvögel im aufgeschwemmten Flusstal der Neretva. Im Naturkunde-Institut konnte ich in Erfahrung bringen, wann sie ihr Diplom gemacht hatte, und ich schaffte es sogar, mit jemandem in Kontakt zu treten, der ein bisschen mehr über sie wusste. Mir wurde klar, dass die meisten aus dem Institut nicht über sie reden wollten, so als hätten sie Angst vor etwas, als hätte sie irgendein Verbrechen begangen. Am Ende habe ich über einen Assistenten der Naturwissenschaftlichen Fakultät nach langem Hin und Her erfahren, dass Jozipa emigriert ist, sie hatte um politisches Asyl gebeten und war als wissenschaftliches Delegationsmitglied einer zwischenstaatlichen Austauschgruppe aus Jugoslawien ausgereist. Alle an der Fakultät fanden es wichtig, etwas gegen sie zu sagen und ihr Verhalten zu verurteilen. Deshalb wollte auch lieber niemand über sie reden. Ich habe auch erfahren, dass sie nach sechs Monaten im Exil weiter nach Australien gezogen ist, sie lebt in Melbourne, ist mit dem Sohn eines einst hochstehenden Politikers verheiratet, wie sie ist er ein Emigrant und sogar in ihrer Heimatgegend geboren worden; ihr Mann ist elf Jahre jünger als sie.
Ich weiß nicht, ob die Ergänzung dieses Kapitels wirklich nötig war, aber mir war sie wichtig, weil ich sie meiner Seele schuldete.
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Mutter und ich blieben im leeren Haus zurück; wir konnten nicht einfach fortgehen und allem, was bis dahin unser Leben gewesen war, den Rücken zukehren. Erst drei Jahre später verließen wir unser zweites Heim, von diesem Moment an war mein Leben von Umzügen bestimmt und ich habe danach ganze zweiunddreißig Mal meine Adresse gewechselt. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen, denn sobald dieses Buch in Druck gegangen ist, ziehe ich mit meiner Liebsten in ein kleines Fischerdörfchen nach Istrien; ein weiterer Umzug, der mir aber nicht schwerfallen wird, weil ich dort noch andere Bücher schreiben möchte; aber es sollen Bücher werden, in denen das autobiografische Ich kein Mitspracherecht mehr hat. Man hat mir erzählt, dass man besser schreibt, wenn man sich auf den absteigenden Treppenstufen des Lebens befindet, besser also als auf den aufsteigenden. Falls es mir gelingen sollte, mir die Musen gewogen zu halten, wird jegliche Maschinerie der Erinnerung für mich verboten sein; es gibt nun nichts mehr, das sich hinter mir befindet, die Lichter sind allesamt ausgeschaltet, mein altes Leben gleicht einer verlassenen Stadt, es macht keinen Sinn mehr, in der Asche zu stochern, es ist müßig, die kleine Glut erhalten und etwas von den Funken retten zu wollen. Die Vergangenheit hat sich selbst ausgelöscht. Ich habe niemanden dort, wo ich einst gelebt habe. Alle Fotografien von damals habe ich vernichtet. Das Einzige, was ich behalten habe, ist Vaters silberne Tabakdose mit den schönen Platin- und Goldintarsien. Er hat sie von seinem Vater vererbt bekommen; für mich ist sie ein ästhetischer Gegenstand, der seinen Platz in meinem Regal gefunden hat; es ist keine konkrete Erinnerung und keine Bedeutung für mich an ihn gekoppelt.
In diesem Augenblick, da ich mein Buch schreibe, gibt es die Heimat aber doch, jetzt ist sie gezwungenermaßen mein Sujet, das Begonnene muss ich zu Ende führen und noch ein bisschen auf Umzüge zu sprechen kommen, Haarspalterei und Aufrechnungen liegen mir dabei fern.
Die wenigen Habseligkeiten, die wir hatten, waren schnell verstaut, der Laster stand dennoch einen ganzen Nachmittag lang vor der Eingangstür unseres Hauses. Vorsichtig packten wir das Porzellan und die Glaswaren ein, aber von dem Moment an, in dem wir Mutters Singer-Nähmaschine auf den Laster gestellt hatten, sahen wir immerzu durch das Fenster nach draußen, nicht etwa, weil wir glaubten, jemand könnte das gute Stück stehlen, so etwas war praktisch unmöglich, weil wir ständig vom Haus zum Auto gingen, vielmehr liebten wir die Nähmaschine, wie man ein menschliches Wesen liebt, und wollten ihr auf diese Weise immer noch nahe sein. Aus der kleinen Schublade für Kleinkram, die unten am Gerät angebracht war, nahm ich das Goldarmband heraus. Mit Mutters Segen verstaute ich es in meiner Tasche, an der eine kleine Schnalle angebracht war, aber um wirklich nichts zu riskieren, befestigte ich es zusätzlich noch mit einer
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