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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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»so gründet letztlich jede Lüge auf der Wahrheit«. Damals habe ich das nicht verstanden, aber ich hörte ihm genau zu und hatte genauso wenig vor diesen Verwandten kennenzulernen wie er. Wir wussten, dass man ihm nach dem Krieg als Siedler irgendwo in der Vojvodina etwas Land zugesprochen hatte und er als Wirtschafter dorthin berufen worden war, den konkreten Ort kannten wir aber nicht, denn meine Tante und er ließen nie wieder etwas von sich hören. Der ärmeren Verwandtschaft schickten sie auch nie ein Kleidungspaket oder Lebensmittel aus der als reich bekannten Vojvodina, andere Siedler taten das durchaus.
    Als ich im Dorf Klek auf meine Tante stieß, war sie schon mit einem anderen Mann verheiratet; ihr erster Ehemann, jener Ex-Priester, wurde im Schlaf getötet, seine Frau lag neben ihm und hat von alledem nichts mitbekommen. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten, mit einem Rasiermesser oder einem Skalpell, das kam bei den Untersuchungen heraus. Weder die Tatwaffe noch der Mörder wurden jemals gefunden. In diesem schönen großen Haus, das einst der deutschen Familie Kitel gehört hatte, genauer, einem Einbeinigen, der im Besitz der Zuckerfabrik war, verlebten die Eheleute nur eineinhalb fröhliche Jahre, waren faul und verbrachten ihre Zeit meist im Bett liegend. »Sie lebten auf großem Fuß«, sagten ihre Landsleute. Die Ländereien ließen sie von Tagelöhnern für wenig Geld oder ein bisschen Nahrung bewirtschaften, weil der Ex-Priester zwischenzeitlich der Parteichef des Stadtkomitees war, ein Ideologe der Kommunistischen Partei. Zeitgleich zu dieser Tätigkeit versuchte er sich als Dichter spöttischer Verse, die den Exodus der Banater Deutschen zum Gegenstand hatten. Der selbsternannte Dichter spottete über die hunderttausend vertriebenen Banater Deutschen, die auf der Flucht nur ihre wenigen Habseligkeiten mitnehmen konnten, ein bisschen Schmuck, Familienalben, sonst nichts. Aber nicht einmal das sei Frau Kitel richtig gelungen: »Sie blieb zurück ohne Unterhose, soll ihr deutscher Vater sie ficken und mit ihr schmusen« – solche Verse dichtete der neue Besitzer jenes 1824 erbauten prächtigen Hauses, das zweimal restauriert wurde, einmal noch im 19. Jahrhundert, das zweite Mal von Grund auf im Jahre 1902.
    In dieser großen deutschen Familie gab es einige, die sich dem Leben in den unterschiedlichsten Banater Gemeinden anpassten, das waren jene, die abends Besseres zu tun hatten als Lieder zu singen wie »Vater, der du bist im Himmel, säubere unsere Höfe vom serbischen Ungeziefer«. Einer von ihnen war Peter Kitel, der auch nach dem Krieg und der Vertreibung seiner Landsleute das blieb, was er schon immer gewesen war – ein Pflaumenschnapsliebhaber und Kapellmeister mit Blechinstrumenten in Zrenjanin. Dieser Mann klopfte eines Tages bei meiner Tante und ihrem Mann an die Tür und bat ergeben darum, auf dem Dachboden in den Kisten nachzuschauen und sich ein paar Kleinigkeiten seiner Verwandten mitnehmen zu dürfen, Fotografien, Briefe, Alben, altes Geld, denn in seiner Familie hatte es Münzenkenner gegeben, ein paar Anhänger hatte er auch im Sinn, Musiknoten für seine Cousine, die in dem Zimmer komponiert hatte, in dem das mit einer dicken Staubschicht überzogene Klavier stand. Der neue Besitzer erlaubte das großzügig, und der Kapellmeister steckte alles sorgfältig in eine Jutetasche, dann setzten sie sich wie alte Freunde in den Garten und tranken, bis es dunkel wurde. Meine Tante bediente sie Stunde um Stunde, und als sie sah, dass beide so betrunken waren und keiner von ihnen mehr gehen oder noch klar sprechen konnte, goss sie Schnaps über die Jutetasche und zündete sie mit einem Streichholz an. Sofort schossen die Flammen in die Höhe und die beiden Männer starrten dämlich und dumpfen Blickes ins Feuer. »Ich lass mir doch das rechtmäßig Überantwortete nicht von einer kleinen deutschen Kröte wegnehmen, die in meinen Sachen rumschnüffelt.« Das war alles, was meine Tante dazu sagte.
    Aber nachdem der Mann meiner Tante ermordet worden war, gab man ihr zu verstehen, dass sie sich nicht allein in so einem großen Haus breitmachen konnte und man sie deshalb vorübergehend bei der serbischen Familie Malesev unterbringen würde. Hier hatte sie in ihrer Anfangszeit als Haushälterin gearbeitet. Schließlich heiratete sie den blinden Aco Malesev, der acht Jahre jünger als sie war. Kaum dass Aco unter der Haube war, zogen seine Eltern nach Novi Sad um, die Pflege des Blinden

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