Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Schwester aussieht, habe ich auch längst vergessen. Ich könnte dir in aller Ruhe die Tür vor der Nase zuschlagen, aber wir brauchen einen Knecht. Mein Mann ist blind, im Haushalt habe ich keinen Nutzen von ihm. Jemand muss mir mit den Gänsen und Schweinen helfen, beim Entladen der Kohle komme ich allein auch nicht zurecht, der Mais muss geschält werden und allerlei andere Arbeiten harren auch noch ihrer Erledigung. Wenn du bereit bist, all das für ein Zimmer und Nahrung zu tun, dann kannst du bei uns bleiben. Wenn nicht, dann – ab mit dir. Es ist nicht beschämend, ein Knecht zu sein, es ist beschämend, wenn man ein Bettler ist. Passt dir das oder nicht?«, wollte sie wissen. »Passt«, sagte ich. »Unsere Knechte waren immer zufrieden, es hat ihnen an nichts gefehlt, aber auf deine Herren musst du bedingungslos hören«, sagte mein Onkel Aco, weil er sich bemüßigt fühlte, das Ganze mal wieder zu ergänzen. »Und wenn ich danach verlange, dass du meine Eier kraulst, dann hast du eben meine Eier zu kraulen!«
»Das ist nur eine seiner Redensarten, er ist aus einer alten serbischen Familie, sie sind Knechte gewöhnt, aber das heißt nicht, dass du ihm wirklich die Eier kraulen musst, sondern dass du dir für keine Arbeit zu schade sein darfst«, sagte meine Tante.
Ihr Haus befand sich am Anfang des Dorfes, gleich nach dem Ortsschild, auf dem Klek stand, in der Nähe der staubigen Straße und der Schmalspurbahn, mit der ich jeden Tag nach Zrenjanin in die Schule fuhr. Manchmal, wenn ich den Zug verpasst hatte, ging ich auch zu Fuß; die Strecke war genauso lang wie jene zwischen Trebinje und L. Wir hatten ein Gehöft und einen Viehpferch für die Schweine, einige Ferkel wurden gemästet, die Gänseschar meiner Tante war die größte im ganzen Dorf. Aco und meine Tante hatten ihr eigenes kleines Stück Weideland und züchteten Kräuter auf dem Hof, für die Gänse war es das Paradies auf Erden, der Gänserich wurde besonders gepflegt, hatte einen eigenen Raum, der sauber und warm war und nach der Brutzeit für den Gänsenachwuchs bereitstand.
Wie ich damals meine Tante gefunden habe, weiß ich beim besten Willen nicht mehr, an alles andere erinnere ich mich jedoch sehr genau, an jeden Winkel dieses Hauses, an den langen Kreuzgang, an dessen Ende sich mein Zimmerchen befand, ich hatte ein Holzbett und warme Daunendecken, die für die sehr kalten Banater Winter sehr nützlich waren, auch im Sommer lagen sie gefaltet auf meinem Bett. Mit Leichtigkeit kann ich mir alle möglichen Einzelheiten aus dieser Zeit wieder in Erinnerung rufen; zum Beispiel die Art, wie der Blinde seine Suppe schlürfte oder wie er röchelnd aus dem Bauch heraus lachte, ich erinnere mich an das Ehebett, in dem es nachts, aber häufig auch an den Nachmittagen laut zuging, sie lachten immer über irgendetwas, grunzten dabei wie die Schweine und gackerten wie die Gänse. Und einmal habe ich den Blinden im Stall dabei erwischt, wie er sein Geschlecht in den Hintern einer Gans rammte. Er hatte ein genaues Gehör und wusste, dass ich mich in der Nähe befand, er schrie: »Ist jemand da?« Ich tat so, als hätte ich ihn nicht gehört, und mein Onkel führte sein krankes Treiben mit der Gans ruckartig zu Ende.
Aco hasste als Alteingesessener die Siedler und wurde nicht müde, immer zu wiederholen, dass er einfach nicht aus dem Staunen herauskomme, wie ein Mensch sich das Haus eines Fremden unter den Nagel reißen und dann so tun konnte, als sei das, was über Generationen von anderen errichtet worden war und üblicherweise an die eigenen Nachkommen vererbt wurde, schon immer sein Besitz gewesen. Alle Neuankömmlinge nannte er Türken, beim Abendessen sprach er davon, dass die Türken die Vojvodina verwüstet hätten. Was man hier von Generation zu Generation vererbt habe, sei in ihren Händen über Nacht zu Staub zerfallen. Er lachte über jeden seiner Einfälle, genau genommen wieherte er und genoss es sichtlich, wenn meine Tante sagte, er lache wie ein Pferd. Selbst mich nannte er mehrere Male einen Türken, aber ich denke heute, dass das eigentlich seine Metapher für die Kommunisten war. Er lehnte es ab, den neuen Namen der Stadt auszusprechen, seit 1946 trug sie den Namen Zrenjanin, vorher hieß sie Petrovgrad, im Jahre 1918 hatte sie diesen Namen nach dem serbischen König Petar Karađorđić bekommen; in der Zwischenzeit war aber Aco auf den anderen alten Namen verfallen und nannte seine Stadt Beckerek, noch lieber benutzte er aber die
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