Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
und die Arbeit auf den Ländereien übernahm meine Tante, obwohl man sie nicht gerade als fleißigen Menschen kannte, aber sie fand sich ganz gut zurecht, ließ sich hier und da etwas einfallen und nahm sich Tagelöhner, die sie nach getaner Arbeit abfüllte, ihre Nahrung und Getränke mit ihren spezialmagischen Zusätzen versetzte; sie inszenierte unendliche Streitereien, bezahlte die Arbeiter zwar, fand aber immer irgendeinen Trick, um sie einmal mehr übers Ohr zu hauen. Das Haus, in dem ihr erster Mann ermordet wurde, teilte man einer mehrköpfigen Siedlerfamilie aus der Herzegowina zu, die sich in diesem Prozess der Zuweisung jedoch benachteiligt fühlte. Ständig jammerten sie darüber, wie wenig man ihnen gegeben hatte, obwohl sie eine so verdienstvolle Familie von Partisanen seien und ihnen deshalb das beste Haus und schönstes Land zustünde. Ein Jahr später geschah im »verfluchten Haus der Familie Kitler«, wie die Ortsbewohner es nannten, wieder ein Verbrechen. Der älteste Sohn der zugezogenen Familie tötete mit einer Axt seinen Vater im Schlaf, es gelang ihm anschließend, illegal über die rumänische Grenze zu fliehen. Er verbrachte sechs Monate in einem Auffanglager, bekam danach politisches Asyl, heiratete eine Frau aus der Ukraine und zog mit ihr nach Kiew.
Als es meiner Tante gelungen war, ein gutes Verhältnis zur Familie Malesev aufzubauen, die sich in Selbstlob von alters her zu den alteingesessenen Banater Serben zählte, flüsterte man schon überall hinter vorgehaltener Hand, dass sie dort nicht mehr lange einfache Wirtschafterin bleiben, sondern schon bald voller Stolz eigenen Besitz verwalten würde. Genauso ist es auch gekommen. Den Blinden hatte sie in null Komma nichts um den Finger gewickelt und in ihr Bett gezogen. Er war ihr hoffnungslos ausgeliefert, seine Eltern aber hatten es kaum erwarten können, jemanden in die Pflicht zu nehmen, der sich um ihren blinden Sohn kümmern sollte. Sie zogen am gleichen Tag fort, an dem der Standesbeamte diese Ehe vollzog. In Novi Sad besaßen sie ein ganzes Stockwerk in einem schönen Haus; seitdem sind sie nicht ein einziges Mal mehr in Klek gewesen. Ich glaube noch heute, dass meine unfruchtbare Tante eine Frau ohne Gefühle war; ich konnte keinerlei Ähnlichkeiten mit meiner Mutter, meiner Großmutter oder meinem Großvater ausfindig machen; nicht ein Zug an ihrem Gesicht oder an ihrem Charakter war verwandt mit jenen Menschen, die ich geliebt habe.
Jeder kann sich an bestimmte Ereignisse in einer sehr präzisen Genauigkeit erinnern, aber wenn etwas aus der Erinnerung gelöscht ist, dann entsteht eine magische Lücke, ohne die wir weder im Dilemma noch im Widerspruch leben, es ist der Platz der Imagination, wir strengen uns an, die Lücke zu füllen, damit die Erinnerungen sprechen, die Vorstellungskraft ist dabei immer bei uns, sie ist eine Nutznießerin dieses Abenteuers, sie zerrt uns in jeden dunklen Winkel des Unbewussten, aber aller Fantasie zum Trotz kann ich einfach nichts finden, das mir den Weg weisen würde, der mich damals nach Klek geführt hat. Alle Geschichten, nach denen ich dorthin von einer »unsichtbaren Hand« geleitet worden oder meiner »inneren Stimme« gefolgt sei, sind für mich nur ein großes Tohuwabohu, so etwas würde nie die Kraft gehabt haben, meinen Realismus zu unterwandern, deshalb kann man mich auch nicht zum Glauben ans Übernatürliche zwingen. Ich erinnere mich durchaus gut an den Tag, an dem wir darüber gesprochen haben, dass ich noch ein Schuljahr bei ihnen bleiben sollte, das war in der Wäscherei, am runden Tisch, meine Tante leitete das Gespräch und mein blinder Onkel mischte sich von Zeit zu Zeit ein und ergänzte alles, was seine Frau gerade sagte. Die Bedingung war, dass ich in den großen Ferien alle Arbeiten erledigen sollte, die ich über das Schuljahr hinweg vernachlässigt hatte; dabei war ich auch während der Schulzeit der einen oder anderen Verpflichtung durchaus nachgekommen, wie etwa jener, mich zweimal im Jahr um das Rupfen der Gänse zu kümmern, dann war da noch das Säubern der Schweineställe, das Wegtragen der Federn zur Genossenschaft, und bei den Schlachtungen war ich zur Stelle, wenn es ans Füllen der Würste und die Herstellung der Grieben ging. »Ich weiß überhaupt nichts über dich«, sagte meine Tante. »Außerdem bin ich nicht verpflichtet, etwas für dich zu tun, nur weil du das Kind meiner Schwester bist, ich kenne ja nicht einmal deinen Vater, und wie meine
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