Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
bin doch immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Bei allen meinen Umzügen trug ich mein Manuskript und alle meine zu ihm gehörenden Notizen wie Kostbarkeiten mit mir herum. Sie gingen mir in den eigenartigsten Umgebungen verloren und auf noch merkwürdigere Weise fand ich sie wieder. Vielleicht ist gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen, alles zu einem Ende zu führen und nun auch alle Widersprüche, alle Ausläufer dieses Manuskripts in dieses Buch zu bannen. Es kommt mir sehr gelegen, dass die einzelnen Erzählungen sich dabei bis in unsere Zeit ausgestreckt haben. Ohnehin liegt die Aufgabe der Kunst in der Zeitverknappung, ist ausgerichtet auf die Ankunft im großen Jetzt, das für mich die Literatur ist. Nichts anderes als das bedeutet für mich jener berühmte Satz, der besagt, dass alle unsere Jahre zusammengenommen nur einen einzigen Augenblick ergeben.
Ich konnte meinem Gedächtnis ein paar Eindrücke, ein paar von der Dunkelheit beschirmte Bilder entreißen, aber selbst jene Menschen, die etwas auf sich geben, weil sie sich auf einen klaren Verstand berufen, müssen stellenweise mit dem einen oder anderen Rätsel leben, das die Erinnerung von sich aus gestaltet. Wenn die Zeit mit ihrem Bilderschlüssel das Vergangene wie eine Tür zuschließt, wird uns allen nichts anderes als das Echo des Verlorenen übrig bleiben. Alles, was wir behalten dürfen, ist eine Welt im Spiegel. Über diese werde ich in den nächsten Kapiteln etwas sagen können.
8
Mein Vater besuchte die Mittlere Forstwirtschaftsschule, zugegeben, nur für kurze Zeit, denn der Erste Weltkrieg kam ihm dazwischen. Ihm passte das, es rettete ihn vor den strengen Augen seines Vaters. Hätte Großvater Mato erfahren, dass sein ältester Sohn, auf den er so große Stücke hielt, ihn hintergangen, sich eigensinnig über seine väterliche Autorität gestellt und einfach die Schule beendet hatte, die er für ihn bezahlte, wäre er im Testament mehr als nur schlecht weggekommen. Großvater war ein fleißiger und namhafter Kaufmann, der sein Testament immer wieder neu schrieb und fortwährend ergänzte. Würde er nur einmal wütend auf seinen Sohn geworden sein, hätte dies zu einer Streichung all jener im Testament geführt, die sich auf irgendeine Weise seinem Willen widersetzt hatten. Als er seinen ältesten Sohn, meinen Vater, nach Belgrad zur Handelsschule schickte, war er überzeugt davon, dass man nirgendwo, nicht einmal in der Türkei, die Handelskunst so gut wie in Serbien erlernen konnte. Er war sich darüber im Klaren, dass ein ausgebildeter und wirtschaftlich mit allen Wassern gewaschener Kaufmann einen besseren Stand als ein Autodidakt haben würde. Sein Einfall, meinem Vater die Ausbildung zu bezahlen, erwies sich aber von Beginn an als eine Falle. Sein Nachfolger hatte gar keine andere Wahl, als das für ihn vorgesehene Erbe anzutreten. Deshalb sollte er von der Pike auf lernen, wie man Geschäfte macht und sein Vermögen vervielfältigt. Die Ausbildung, so rechnete Großvater es sich aus, würde gleichsam von allein Ambitionen in meinem Vater wachrufen, er würde nicht irgendein Winzling von Kaufmann oder Dorfwirt bleiben, sondern sich so weit entwickeln wollen, dass er auch ein Großhändler werden konnte, der sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt und sowohl Immobilien als auch Geldgeschäfte im Auge behält.
Mein Vater lehnte sich innerlich natürlich gegen diese Familientradition auf. Ein entfernter Verwandter, der Beamter war, half ihm und er verließ schon nach dem ersten Halbjahr die Handelsschule. Ohne sich mit Großvater zu besprechen, schrieb er sich gleich in die Mittelstufe der Forstwirtschaftsschule ein. Er war auch als Erbe für ein großes Waldstück vorgesehen und hatte die Idee, später mit Bau- und Brennholz zu handeln. Er machte sich kundig und brachte in Erfahrung, dass sich der Verkauf von Holz durchaus lohnen konnte. Es wollte ihm einfach nicht einleuchten, dass der älteste Sohn zwangsläufig den Beruf seines Vaters übernehmen musste, denn die Regel galt für jeden Beruf, ganz gleich, ob es sich um einen Schmied oder Hufschmied, Maurer oder sonst etwas anderes handelte, sogar völlig unattraktive Berufe wie jener des Schweinekastrators waren da keine Ausnahme. Ob er es wollte oder nicht, der älteste Sohn war von Geburt dazu verurteilt, sich dieser begrenzten Wahl anzupassen, während die jüngeren Nachfahren sich so entwickeln konnten, wie es ihnen selbst entsprach. Aber warum um alles in der Welt
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