Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
uns nicht danach, uns in Anwesenheit anderer Menschen unsere Liebe für die Ewigkeit zu schwören oder in Phrasen wie »gute und schlechte Zeiten« zu denken. Wir hatten einfach schon alles, was uns füreinander kostbar erhielt. Längst waren wir füreinander da. Das war auch von Beginn an die Grundlage für unsere Beziehung, und unsere glückliche außereheliche Liaison verhalf uns zur Vertiefung jedes bereits in uns vorhandenen Wesenszuges. Wer wird schon dieser eine Gott sein, dieser eine Priester, dieser eine Standesbeamte, dass wir uns ausgerechnet ihm anvertrauen und vor ihm ein Versprechen für etwas abgeben, das wir schon in unserem ganz konkreten Leben erfüllen. Na, sagen Sie es schon, wer könnte denn dieser Mensch sein!
Man stelle sich nur vor, ich wäre für eine Familie verantwortlich gewesen, für die Ausbildung von Kindern! Ich weiß überhaupt nicht, wie ich so etwas hätte aushalten können. Mit meinem Schreiben hätte ich uns alle über Wasser halten müssen. Und ob dann Bücher wie dieses hier je entstanden wären? Ich habe wohl kein anderes Leben führen können. Und genau genommen handelt es sich bei meinem Beruf um eine unumgängliche Leidenschaft. Mit so etwas kann man nicht das große Geld machen, von so etwas lebt gerade mal ein einzelner Mensch, in meinem Fall sind es sogar zwei, und das häufig am Rand des Abgrunds. Mit den eigenen Niederlagen kann ein Mensch umgehen, für mich gibt es aber keine größere Niederlage, als für das Leid eines Kindes verantwortlich zu zeichnen.
Ich darf nicht klagen, meinem Vater könnte ich sogar dankbar sein, denn ihm ist es letztlich geschuldet, dass ich die Kraft hatte, jener merkwürdigen, für mich selbst schwer greifbaren Zerrissenheit zu entkommen, die immer mit meinem Kindheitshaus verbunden war, mit jenem Einzelhandelsladen, in dem die Beklommenheit zum Greifen nahe war und die dann mein stetes Erbe werden sollte. Noch heute überfallen mich vielfältige Ängste, aber im Gegensatz zu meinem Vater hilft mir der Alkohol nicht. Mein Körper lehnt jegliche Narkotika ab, und viele andere Laster habe ich nicht. Es gab Phasen in meinem Leben, in denen es mir gelungen ist, meine Zeit mit allerlei Bohemiens totzuschlagen, ich war mit Schriftstellerkollegen und Schauspielern befreundet, mit Malern und Filmemachern und natürlich mit solchen, die um den Film herumschlichen. Aber getrunken habe ich nie, oder sagen wir es so, ich trank nur in Maßen. Geraucht habe ich nur ein Jahr lang, Tompus -Zigaretten, und das mehr, um mit ihnen zu posieren als aus wirklicher Bedürftigkeit. Ich kam ohne das Rauchen aus, aber ich konnte auch noch auf vieles andere verzichten, eigentlich auf alles, nur nicht auf meine alles bestimmende Leidenschaft – das Schreiben. Auch mein Lebensmensch war unverzichtbar für mich, genauso wie ein paar meiner Freunde, die ich nun einmal liebe. Meine Einkünfte als Filmregisseur und Drehbuchautor reichten für ein humanes und gutes Leben, hätte ich aber alles mit einer Familie teilen müssen, wäre das uns allen sichere Schicksal der Hunger gewesen.
9
Nachdem mein Vater aus Belgrad fortgegangen war, hat er zwei Jahre auf der Flucht verbracht. Der Krieg setzte ihm zu und machte ihn derart ratlos, dass er weder ein noch aus wusste. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen und auf welche Seite er sich schlagen sollte, es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf seinen Instinkt zu verlassen, darauf zu vertrauen, das Richtige zu tun, denn sein Leben hing davon ab. Um unbemerkt zu bleiben, versteckte er sich allenthalben. Nach dem Krieg wollte er gleich in seine Geburtsgegend zurückkehren. Er verbrachte aber zunächst zwei Monate in Griechenland, später verlor er selten ein Wort über diese Zeit. Bei diesem Aufenthalt hatte er sich eine große Wunde unter dem linken Schulterblatt zugezogen, und wenn ihn jemand nach dieser Narbe fragte, stellte er sich stumm, wurde abweisend und barsch. Statt einer Antwort stellte er dann selbst bissig eine Frage und sagte so etwas wie: »Schnüffle ich etwa in deinen Geheimnissen herum?«
Einmal standen wir zusammen am Ladentisch und sortierten verfaultes Obst aus. Plötzlich fing er aus dem Nichts heraus an, über diese Narbe zu sprechen. Er sagte, er habe sie sich durchaus zu Recht zugezogen. Mehr sagte er im ersten Moment nicht dazu, aber das wenige, in kühlem Ton von ihm Preisgegebene bedeutete mir viel. Mein Vater zeigte mir damit, dass es Dinge und Ereignisse gibt, die man manchmal nur
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