Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Verräter, der auf der Flucht vor mir ist. Und ich kenne die Angst, weil ich letzten Endes nur ein Mensch bin. Angst spielt in jedem Leben eine Rolle, vor allem in den fieberhaft vorgetragenen Beichten. Auch das ist der Sinn meiner immer wieder eingeschobenen reflektierenden Betrachtungen in diesem Buch, mit denen ich mich meiner selbst vergewissere und das eine oder andere Kapitel abschließe. Vielleicht sind das alles kleine Fluchten.
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Manchmal blieb Vater einfach länger als zwei, drei Wochen weg, ohne uns eine Nachricht zu schicken. Sein Großeinkauf kam nicht an der Bahnstation an. Der Laden aber war leer, wir hatten gar nichts mehr zu verkaufen. Einmal trat sogar der Fall ein, dass wir zwei Wochen lang in dieser misslichen Lage waren. Vater ließ einfach nichts von sich hören, und wir wurden immer wütender auf ihn, weil er uns und das Geschäft im Stich gelassen hatte. Dieses Mal äußerten wir unseren Unmut laut, auch das, was wir verdienten und für den nächsten Einkauf zur Seite legten, gab er einfach aus und ließ uns auf dem Trockenen sitzen. Wenn aber unser Ärger und unsere Wut abgeflaut waren, bereuten wir es, so wütend auf ihn gewesen zu sein, und einigten uns wieder darauf, dass es besser ist, ihn und seine Macken zu ertragen, als ganz ohne ihn zu leben. Es tat uns leid, dass wir immer wieder so schnell über ihn urteilten. Ich fing als Erster damit an, vor allem dann, wenn Vater mich gnadenlos enttäuschte, wenn er beispielsweise nicht an einem Feiertag bei uns war oder bei einem lange im Voraus geplanten Fest nicht auftauchte, wenn er mich auf sich warten ließ und mir kein Geschenk brachte, dann kam es dazu, dass ich den einen oder anderen Satz in Rage aussprach. Einmal hatte ich ihm so etwas ins Gesicht geschleudert und gesagt, dass ich es kaum erwarten könne, auf seinem Grab zu tanzen. Später bin ich vor Pein umgekommen und konnte es nicht fassen, dass ich einen solchen Satz laut ausgesprochen hatte. Ich weinte in Mutters Armen, sie tröstete mich und sagte, dass in uns allen böse Gedanken wohnen, die wir nie ganz auslöschen können. Mutter hatte mir gesagt, dass viele meiner schlechten Gedanken schon eins mit der Luft, ja auf und davongeflogen waren, und von diesem Augenblick an wünschte ich meinem Vater nie wieder etwas Böses. Ich glaube, ich lernte damals, dass man genauso schnell gut wie böse werden kann. Daran versuchte ich mich später im Leben immer zu erinnern und die schlechteren Gedanken mit einer Art inneren Waage in gute zu verwandeln.
Vater war also zwei Wochen nicht mehr aufgetaucht, wir hatten das goldene Armband im Haus. Vielleicht warteten wir deshalb dieses Mal, trotz Warenmangel, etwas ruhiger auf seine Rückkehr. Durch das Armband fühlten wir uns sicherer, obwohl wir gar nicht wussten, was es überhaupt wert war, und wir hatten auch keine Ahnung, wie wir es zu Geld machen konnten. Wir hatten sogar Angst, dass der Juwelier oder irgendein anderer Käufer uns über den Tisch ziehen und uns viel zu wenig dafür geben könnte. Dann tauchte Vater plötzlich auf, er sah verwahrlost aus, war nicht rasiert, er hatte einen schweren und müden Gang. Wir hatten ihn seit langem nicht so schwach gesehen. Man sah ihm an, dass er von seiner körperlichen Unansehnlichkeit wusste, dass ihm klar war, wie er aussah, denn er wagte es nicht, uns in die Augen zu sehen. Die Spuren seiner durchzechten Nächte waren auf den ersten Blick zu sehen. Aber wir hatten ihn trotz allem freudig empfangen, schauten jedoch mit einer gewissen Distanz auf ihn. In uns war eine eigene Zuversicht gewachsen, woher sie kam, wussten wir nicht einmal selbst. Es konnte ja nicht sein, dass ein einzelnes Armband diese Veränderung in uns erreicht hatte. Mutter wählte versiert ihre Worte, sie machte Anspielungen, setzte Vater auf diese Weise richtig zu, und ich lernte es unmittelbar von ihr, begann wie sie, Vater mit Worten ruppiger zu behandeln.
Als er es sich in seinem Fauteuil gemütlich gemacht hatte, kam auch schon der Wagen mit der Lieferung. Das Bargeld hatte er vertrunken und die Waren hatte man ihm wieder angeschrieben. Wir hatten keinen Überblick mehr über die Schulden, die er beim Großhändler Maras machte. Unsere Fragen ließ er unbeantwortet, und dann fingen wir bald an, Witze über Vaters schwere Zunge zu machen, wir lachten ihn aus, weil er lallte. Er fand sich nicht mehr mit uns zurecht, so wie früher, wenn wir ihn in Streitlaune empfingen. Er fühlte sich von uns ertappt, deshalb
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