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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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als das Trinkvergnügen selbst«, sagte er. Es fiel ihm von Mal zu Mal schwerer, anderntags wieder zu sich zu kommen, er hatte richtige Schmerzen und bekam endlose Hustenanfälle. Regelmäßig nahm er irgendwelche Mittel ein, aber man muss sagen, dass es eher Beschwörungen waren als richtige Medikamente. Irgendjemand hatte ihm gesagt, dass man Kopfschmerzen nach einem Saufgelage am besten mit einer Lieblingsspeise kurieren könne. Aber auch saure Suppen und Kräutertees hatte man ihm empfohlen. Und wenn er in Imotski bei seinem Freund, dem Händler Basic, blieb, versuchte er sich mit einem merkwürdigen Gemisch aus Rotwein und Milch zu kurieren, aber nicht Kuhmilch, sondern Ziegenmilch; das war dabei wohl das alles entscheidende Geheimnis. Wir taten alles, um ihn wieder auf die Beine zu bringen, umhegten und pflegten ihn, als sei er gerade aus dem Krieg zurückgekehrt. Meine Mutter witzelte und sprach davon, dass wir uns einen Verwundeten ins Haus geholt hätten. Wir brachten ihn auch zu Leuten, die sich mit Naturmitteln auskannten. Gegen Husten empfahlen sie ihm vor allem Milch von fuchsroten Ziegen oder von einer Eselin. Man sollte die Milch mit Honig und einer Knoblauchzehe aufkochen, und der Kranke musste alles in einem Schluck trinken. Gegen die Kopfschmerzen half ihm ein in Traubenschnaps getränktes Tuch, das wir ihm quer über die Stirn banden. Dieses Mal pflegten wir ihn schon vier Tage lang, aber im Unterschied zu früher, als wir auch grob mit ihm umgegangen waren und uns im Streit mit ihm überworfen hatten, waren wir dieses Mal zärtlich, übertrieben es sogar mit unserer Hingabe und Aufmerksamkeit. Das wiederum kam ihm wie eine Art Komplott vor, und er witterte darin eine Strategie seiner Frau, die nichts anderes als das Ziel verfolgte, ihn zu domestizieren und ans Haus zu binden.
    Ich kümmerte mich mit größter Achtsamkeit wie ein Wundheiler um Vaters linke Handwurzel, legte ihm Umschläge an die verletzte Stelle, die wir aus Breitwegerich mischten, einer Pflanze aus der Familie der Plantaginaceae . Wir hatten sie immer zu Hause, wussten alles über sie, hatten uns für alle Fälle auch ihre unterschiedlichen Namen notiert, die im Umlauf waren. Überall hieß sie anders, schon in der Nachbargemeinde wurde ein anderes Wort verwendet. Und in den weiter entfernt liegenden Gegenden wechselten die Bezeichnungen sogar von Dorf zu Dorf. Trotz allem kümmerten wir uns um Vater, fragten die Leute, welche anderen Kräuter ihm noch helfen könnten, sprachen mit Frauen, die sich damit auskannten, vielleicht, weil wir glaubten, auf diese Weise auch das ganze Leid, das sich in unserer Familie angesammelt hatte, kurieren zu können, wir wollten, dass alles wieder gut wurde, glaubten mit jedem Atemzug daran, ja wir begannen sogar an Gott zu glauben und fühlten uns in die Pflicht genommen, so etwas wie ein Gelübde zu erfüllen. Und wenn ich all das hier darlege, so nicht, um zu zeigen, dass ich ein Kräuterfachmann bin, sondern um von unserer unerschütterlichen Zuneigung zu erzählen. Wir waren bereit, einander immer beizustehen, allen Abgründen und aller Ohnmacht und Wut zum Trotz. Wie oft waren wir ratlos gewesen und hatten Vaters Handlungen nicht verstanden, dennoch waren wir jetzt bereit, es anders zu machen als er. Es war merkwürdig, aber das kleine Kraut half uns dabei, dieses Gewächs, das an jedem Straßenrand zu finden war, heilte auf seine Weise den großen Schmerz unserer Familie.
    Abends rief Vater meine Mutter und mich zu sich und erzählte uns, dass Menschen reich werden, weil sie Dinge in ihrem Denken zusammenbringen, die auf den ersten Blick eigenartig erscheinen, so wie es damals in Dubrovnik der Webermeister und der Magister am Ende der Široka-Straße getan hatten. Wir wussten nicht, ob wir ihn richtig verstanden, aber wir unterließen es, mit ihm zu diskutieren. Vielleicht war ihm wirklich endlich etwas eingefallen, dachten wir, etwas, das uns helfen würde. Mutter war davon überzeugt, dass aus den verrücktesten Köpfen die besten Ideen kommen konnten. Und ich hatte ohnehin ein Herz für Visionen.
    »Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir im Laden Wachskerzen und Mehl haben und nicht nur Seife anbieten, sondern auch Soda, Gewürze und Süßigkeiten, Heftpflaster und Sirup, Spiegel aller Art, Karbid-Lampen und natürlich Werkzeug! Die Regale müssen voller Waren sein, am besten nicht wie zu erwarten nach Ähnlichkeit sortiert – genau umgekehrt ist es besser, sie müssen sich

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