Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
hätte auch der englische Schneider, der die gelb-leuchtenden Knöpfe am Mantel angenäht hatte, wissen können, dass sein Werk einmal den feinen Rücken eines britisch-königlichen Offiziers und dann den Rücken eines armen Gemischtwarenhändlers wärmen würde, der später in seinem Testament niederschreiben sollte, mit dem englischen Mantel begraben zu werden? So etwas nennt man gemeinhin Schicksalsverlauf. Der arme Händler wollte im Dolman begraben werden, einfach, weil er nichts Besseres und nichts Festlicheres besaß, während sein erster Besitzer, der britische Offizier, alles dafür gegeben hätte, nicht darin begraben zu werden.
Ich saß auf dem kleinen Hocker vor Vaters Fauteuil und wusste nicht, warum er mich gerufen hatte, was er eigentlich vorhatte, aber irgendetwas lag in der Luft, das sah ich schon an der geheimnisvollen Art, mit der er seinen Mantel im Schoß hielt. Außerdem war ihm jenes kleine Lächeln über das Gesicht gehuscht, das ich schon von ihm kannte, es widerfuhr ihm immer, wenn eine angenehme Überraschung von ihm zu erwarten war, denn so etwas konnte mein Vater gut, er überraschte nicht nur seine Verwandten, sondern auch gänzlich fremde Menschen. Das zählte zu seinen guten Charaktereigenschaften. Er gestikulierte auf eine für ihn typische Weise, das war seine Art, alle Ungereimtheiten und Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen und etwas Neues möglich zu machen. Es kam viel öfter vor, dass ich im Angesicht meines Vaters vor Glück als vor Angst zitterte, Schläge und Strafen waren eine absolute Seltenheit.
Er betrachtete mich mit jenem für ihn typischen schelmischen Lächeln und breitete dann den Mantel vor mir aus. Er klopfte mit der flachen Hand auf die gefütterte Innenseite, genau auf jene Stelle, der er den Namen Safe gegeben und wo er immer etwas Geld versteckt hatte. Ein sicherer Platz also, für den Fall der Fälle! Dieser Safe war in Wirklichkeit aber eine kleine Tasche, die im Mantel eingenäht war, er trennte die Naht auf, holte ein paar große Geldscheine und ein Bündel kleinerer Scheine aus ihr heraus. Er spuckte sich auf die Finger und zählte die Geldscheine durch, großzügig und warmherzig gab er mir dann das ganze Bündel. Er bat mich, meine Hand auszustrecken. Das tat ich und er schlug mit seiner Hand auf meine ein, das Geräusch besiegelte mit Nachhall sein für mich sehr großes Geschenk.
»Schlechter als die Griechen will ich nicht sein«, sagte er. »Behalte das, pass gut darauf auf, damit es dir niemand wegnimmt. Du kannst die hübsche kleine Griechin natürlich auch damit einladen. Oder tun, was immer dir in den Sinn kommt«, sagte er.
Mein Vater beschenkte mich, weil ich ihm nicht gehorcht hatte. Es lag eine anrührende und besondere Schönheit darin. Irgendjemand hat einmal davon gesprochen, dass der Verstand in uns immer im Plural waltet und dass wir uns glücklich schätzen können, wenn er sich selbsttätig korrigiert. Ich weiß nicht, wie sich die gute Phase, die er gerade mit meiner Mutter hatte, auf Vater auswirkte, aber sie flüsterten häufiger als sonst, schlossen sich im Schlafzimmer ein, und mit mir sprachen sie immer öfter über das Kind in Mutters Bauch. Sie waren glücklich, weil mein Zorn von kurzer Dauer war. Die Lehrerin hatte uns geholfen, unsere kleinen Familienschwierigkeiten aus der Welt zu räumen. In dieser Zeit verstanden wir uns alle sehr gut, wir aßen zusammen und es war nicht wie früher, als jeder in seiner Ecke und so weit wie möglich vom anderen entfernt hockte. Vater hatte mich außerdem aus einem anderen Grund zu sich gebeten, er übergab mir die Verantwortung, nach einem schönen Jungennamen zu suchen. Er sollte modern sein, ich musste keine Rücksicht auf Tradition oder Familiengeschichte nehmen.
»Die Namen in unserem Familienstammbaum haben keinen Bestand mehr«, sagte Vater. Es sei an der Zeit, sich nichts mehr aus der Ehre der Toten zu machen. »Wenn du selbst einmal ein Kind hast«, sagte er, »darfst du ihm bloß nicht meinen Namen oder den Namen deiner Mutter geben, beide sind altmodisch, man blamiert sich mit ihnen draußen in der Welt.«
Vater sprach die ganze Zeit von einem Jungen, er schien sich darin sicher zu sein, dass es einer werden würde, und man konnte den Eindruck bekommen, es sei in seiner Macht, so etwas zu beschließen. Wir widersprachen ihm nicht, obwohl Mutter und ich uns eher ein Mädchen als einen Jungen wünschten. Vielleicht versuchte mein Vater auf diese Weise seine Angst vor
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