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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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schritt es über die breite Straße und wir blieben stehen, ohne von unseren Rädern abzusteigen, und schauten uns das Orchester an, bis es nicht mehr zu sehen und hinter der nächsten Ecke verschwunden war. Schnell fuhren wir weiter über die staubige Straße. Zwei, drei Kilometer lang knirschte der Schotter unter unseren Rädern und die Steinchen zischten wie aus einer Vogelschleuder geschossen unter dem Gummi hervor, flogen gegen große Steine oder Bäume und pfiffen wieder an unseren Ohren vorbei. Als wir die letzten Vorstadthäuser hinter uns gelassen hatten, fuhren wir auf einem enger werdenden Pfad in Flussrichtung weiter. Rechter Hand ließen wir steinumsäumte Wiesen hinter uns, Macchia und niedriges Gehölz. Je mehr wir uns dem Fluss näherten, desto mehr eröffnete sich uns ein Landstrich, auf dem die unterschiedlichsten Wildkräuter und Klee in verschwenderischer Üppigkeit wuchsen, ein Quakkonzert der Frösche erwartete uns auch schon. Das Flussufer war sogar gesäumt von einigen Palmen, wir folgten dem Flusslauf hinter den traurigen Weiden, umfuhren das Leinkraut und den Besenginster und kamen durch das hohe Gras zu der feuchten Stelle, auf der die Wipfel der Pappeln in die Höhe hinaufragten.
    Meine Lehrerin hatte ein Plätzchen bei der Trinkwasserquelle ausgewählt; hier war sie auch früher hergekommen, deshalb blieb sie plötzlich stehen und sah sich um, um sich zu vergewissern, dass es auch wirklich jene Stelle war, die sie bereits kannte. Überall schoss das Gras in die Höhe und Blumen in allen Farben waren zu sehen. Unsere Räder stellten wir im Schatten ab, Picknickkorb und Netztasche mit den Lebensmitteln legten wir in ein Gebüsch, die Blätter und Äste raschelten. Wir waren beide glücklich, atmeten mit vollen Lungen die frische Luft ein, sahen uns dabei an und lachten. Ihre Brüste hoben sich und senkten sich unter ihrem Kleid, das war aufregend für mich, und ich sah sie mir unverfroren an, sie musste nicht heimlich auf meinen hungrigen Blick warten, es verstand sich alles von selbst. Zwei, drei Mal hoben und senkten sich ihre Brüste, weil sie sich nach vorne beugte und wieder aufrichtete. Sie machte ein paar schöne gymnastische Bewegungen, besonders beeindruckend war jene Bewegung, bei der sie nahezu wie eine Balletttänzerin das Bein in die Höhe hob und mit der Hand ihre Fußzehen umklammert hielt, ohne sich darum zu kümmern, ob ihr Kleid verrutscht war und ihren nackten Oberschenkel entblößt hatte.
    »Unsere Welt ist so was von primitiv«, sagte sie. »Wenn die Leute wüssten, dass ich heute keinen Büstenhalter trage, würden sie mir das garantiert übelnehmen. Die Armen haben ja keine Ahnung davon, dass man gerade in der Natur frei atmen muss«, sagte sie.
    Als sie dann auf einmal große pfauenblaue, weiße und gelbe Blumen erblickte, rannte Jozipa schnell zu ihnen. Ich blieb stehen und sah ihr zu, wie sie sich erst vorbeugte, dann aufrichtete und dabei, mit den Händen um sich greifend, etwas zu fangen versuchte. Was für einen eigenartigen Anblick diese flinke junge Frau bot! Mit diesen langen Beinen! Ab und an stieß sie einen kleinen Schrei aus, manchmal klang das fast panisch, so als sei sie in Gefahr. Ich hatte das Gefühl, sie greife förmlich nach der Natur und nehme ihr etwas weg, und es wirkte auf mich, als würde sie dabei von einer besonderen Lebenslust beflügelt. Dann verschwand sie einen ganzen Augenblick lang in den Blumen; ich konnte sie nicht mehr sehen. Als sei sie von einem Abgrund verschluckt worden! Ich erschrak, rührte mich aber nicht von der Stelle. Es war weit und breit nichts zu hören, nur das rege Zirpen der Grillen, die die ganze Luft mit ihrem gleichmäßigen Gesang erfüllten. Ich wagte es nicht, nach ihr zu rufen, denn was, wenn sie nicht antwortete? Und die Stimme hätte mir versagen können; und das Herz klopfte sich schon in die Höhe, klopfte hinauf bis zum Kinn.
    Nach einer längeren Pause machte ich ein paar Schritte in Richtung der Stelle, an der sie wie vom Erdboden verschluckt worden war, schon vorher blieb ich jedoch wieder stehen, die Knie sackten mir immer wieder ein und ein Zittern ergriff meinen ganzen Körper. Nicht ein Grashalm bewegte sich. Ich entschied mich dafür, panisch zu schreien, ich wollte sie dazu bringen, dass sie zu mir zurückkam. Aber meine Stimme gehorchte mir nicht, alles fühlte sich an wie in einem bleiernen Traum. Was war nur mit mir geschehen, was hatte mich in diesem Augenblick derart gelähmt? Einen

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