Die Stadt in den Sternen (German Edition)
Exhaustern bildete immer neue Turbulenzen in der stickigen Luft der großen Halle. Langsam hob sich der dreißig Meter lange Schürftrichter. Er hing in einem Netz aus Drähten und Levitan-Spulen. Seit vielen Jahren holten die Bewohner von LEVITAD mit Hilfe der vollautomatischen, raumtüchtigen Schürftrichter unverstrahlte Magma-Massen aus den Vulkanen der Erde.
Ein Dutzend Mineralologen hatte sich hinter einer durchsichtigen Trennwand versammelt. Sie standen an Kontrollpulten und überwachten die computergesteuerte Verwertung der flüssigen Silikatschmelze. Der größte Teil des Magmas war wertlos für LEVITAD. Trotzdem waren die Bewohner der schwebenden Stadt ständig auf neue Rohstoffe von der radioaktiv verseuchten Oberfläche der Erde angewiesen. Sie hatten festgestellt, daß die Erdkruste über metallischen Bodenschätzen zersetzt war. Nur in der Nähe von Vulkanen gab es einigermaßen saubere Schürfgründe für die raumtüchtigen Trichter.
Mehr als neunundneunzig Prozent der Silikatschmelze waren unbrauchbar. Bei der ersten Gewichtsbestimmung war festgestellt worden, daß der Trichter neunhundert Tonnen flüssigen Gesteins von der Erde geholt hatte.
Zwei Mineralologen verglichen die ersten Meßdaten mit den jetzt einlaufenden Analysewerten. Mergel und Ton hatten sich unter dem Einfluß des Drucks und der hohen Temperatur in Schiefer verwandelt. Aus Kalk war Marmor geworden. Außerdem war diesmal ziemlich viel kristallisierter Granit vorhanden.
Doch das war es nicht, was den Chef-Mineralologen stutzig machte. Er verglich die ersten Gewichtsangaben mit den neuen Messungen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Er blickte durch die Trennscheibe zu den bläulichen Wolken hinauf. In vielen Jahren hatten sie genaue Formeln für den Gewichtsverlust durch die Verdampfung des Gesteins errechnet. Trotzdem stimmten in der letzten Zeit die vorausberechneten Ergebnisse nicht mit den tatsächlichen Meßwerten überein. Auch diesmal fehlten plötzlich fast zweihundertfünfzig Kilogramm.
»Das ist zuviel«, murmelte er kopfschüttelnd, »fast fünf Zentner mehr, als eigentlich verdampfen durften!«
Er kniff seine schmalen Lippen zusammen und marschierte zu seinem Arbeitsterminal. Wortlos tippte er seine Meldung ein. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus stellte er eine Verbindung mit dem Zentralcomputer von LEVITAD her. Er wußte nicht, warum er es tat. Vier- oder fünfmal war ihm ein besonders hoher Verdampfungsverlust bei der eingetroffenen Silikatschmelze aufgefallen. Die Schürftrichter holten jedesmal eine genau vorausberechnete Menge flüssiger Magna aus den Vulkantrichtern der Erde. Sobald sie die Tunnelschleuse an der Unterseite der schwebenden Stadt erreicht hatten, wurden sie desinfiziert, entstrahlt und gewogen. Die dabei festgestellten Meßwerte waren hundertprozentig zuverlässig. Anschließend wurden die gefüllten Schürftrichter durch ein hermetisch abgesichertes Transportsystem mit Levitan-Spulen und linearen Induktionsmotoren bis zu den Verhüttungsanlagen von EX-GEO direkt unter dem Central Park weitergeleitet.
Jeder der Mineralologen wußte, daß in der schwebenden Stadt nicht einfach zweihundertfünfzig Kilogramm glutflüssiger Magma verschwinden konnten, und doch trat dieses Phänomen in der letzten Zeit immer häufiger auf.
Ohne es zu wissen, schaltete der aufmerksame Mineraloge durch seine kurze Meldung das Institut für Sicherheit und öffentliche Ordnung ein. Zweihundertfünfzig Kilogramm verschwundener Magma waren ein Fall für Dr. Ragano und seine Leute. Doch daran dachte der Mineralologe nicht. Er konnte nicht ahnen, daß seine Routinemeldung nur wenige Minuten später wie eine Bombe im Institut für Sicherheit und öffentliche Ordnung einschlug. Dr. Ragano ließ sofort alle Aufgänge des Hochhauses hermetisch abriegeln. Gleichzeitig erging eine Fahndungsmeldung an alle Mitarbeiter des Instituts. Sechs Beamte wurden nach Saint Germain geschickt. Ihr Auftrag lautete, Nail McMan und die Mitglieder der Tafelrunde sofort zu verhaften. Der Sicherheitschef der schwebenden Stadt durfte kein Risiko eingehen. LEVITAD war das komplizierteste Gebilde, das je von Menschenhand geschaffen worden war. Schon deshalb konnte Dr. Ragano nicht zulassen, daß die jungen Hitzköpfe aus der Gruppe der Tafelrunde eine geheime revolutionäre Zelle bildeten. Die Bewohner der schwebenden Stadt waren frei in ihrem Denken. Nur wenn es um LEVITAD selbst ging, durfte es keinen Funken Toleranz mehr geben.
Nachdenklich
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