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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Hindernisse auf dem Weg zum Paradies beiseitezuräumen. Wenn wir dabei Fehler gemacht haben, so bedauern wir das und sind bereit aus ihnen zu lernen.«
    Hannibal und Abigale sahen ihn erwartungsvoll an. Das aus der Zimmerecke kommende Kratzen des Stifts hörte auf, und Jonas saß reglos da, über das Protokollbuch gebeugt, gefangen in einem ganz eigenen Moment der Anspannung.
    Sie sind übergeschnappt, dachte Benjamin und erinnerte sich – es geschah nicht zum ersten Mal, dass ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging. Hier sind alle verrückt.
    Und dann dachte er: Natürlich sind hier alle verrückt. Eigentlich kann es gar nicht anders sein.
    »Ich muss überlegen«, sagte er, um Zeit zu gewinnen. »Ich muss nachdenken.«
    »Natürlich«, sagte Hannibal sofort, und in der Ecke kratzte wieder der Stift übers Papier. Benjamin fragte sich kurz, wer Jonas im Institut gewesen sein mochte, von all den Personen, die im Feuer gestorben waren. »Jonas wird dir dein Zimmer zeigen.«
    Der hagere kleine Sekretär stand auf und wirkte unglücklich, als er den Stift aus der Hand legen musste. Mit einem leisen Schniefen eilte er zur Tür und öffnete sie.
    »Außerdem möchte ich mit Louise reden«, sagte Benjamin.
    »Jonas bringt dich zu ihr«, sagte Abigale, bevor Hannibal antworten konnte.
    Benjamin nickte zufrieden und ging zur Tür.
    »Bitte überlege nicht zu lange«, fügte Abigale hinzu. »Wir brauchen den Supermarkt.«

    Benjamin sah noch einmal zurück, dachte dabei an die zahllosen Zimmer mit den Uhren und die asynchrone Zeit. »Wie lange ist er schon weg?«
    »Drei Monate«, sagte Abigale mit schwerer Stimme. »Inzwischen sind es schon drei Monate, und unsere letzten Reserven schwinden dahin.«

    Als die Tür aufging, flog Benjamin etwas entgegen, und aus einem Reflex heraus duckte er sich. Jonas war kleiner als er, und deshalb flog die Vase über ihn hinweg und zerbrach an der Flurwand.
    »Oh«, sagte Louise, als sie Benjamin sah. »Ich habe dich nicht erkannt.«
    »Du hast dir gar nicht die Zeit genommen, mich zu erkennen.«
    Louise stand neben der Kommode, wütend, die Fäuste geballt. »Und wenn schon. Die Vase hätte dich ruhig treffen können. Du hättest es verdient gehabt. Letztendlich verdanke ich dies alles dir.«
    »Jeder scheint zu glauben, dass ich an allem schuld bin«, sagte Benjamin, nachdem Jonas geflohen war. Er schloss die Tür. »Und doch, es gibt Hoffnung.«
    »Hoffnung worauf? Auf ein schnelles Ende?« Louise schnaufte.
    Benjamin trat auf sie zu. »Hat man dich gut behandelt?«
    »Man hat mich eingesperrt! Es wird ein Verfahren stattfinden, gegen uns beide. Und ich weiß schon, wie das Urteil lauten wird! Hast du vergessen, was Hannibal gesagt hat?«
    »Offenbar hat er es sich anders überlegt.« Benjamin setzte sich aufs Bett. »Aus irgendeinem Grund scheint er seine Meinung
geändert zu haben. Offenbar hält er mich für eine Art göttlichen Gesandten.«
    »Für einen was ?«
    »Du hast richtig gehört. Hannibal und Abigale haben mich gebeten, den Supermarkt zurückkehren zu lassen. Sie scheinen zu glauben, dass das in meiner Macht liegt. Er ist schon drei Monate weg«, fügte Benjamin nach einer kurzen Pause hinzu. »So viel Zeit ist hier in der Stadt vergangen, während wir unten im Labyrinth waren.«
    »Hast du ihnen davon erzählt? Von den Tunneln, dem Saal mit den Gläsernen und den Zimmern mit den vielen Uhren?«
    Das dunkle Geschöpf mit seinem Gesicht erwähnte sie nicht, stellte Benjamin fest.
    »Nein. Und du?«
    »Und ich?« Louise schnaubte und stapfte aufgebracht durchs Zimmer. »Mich hat man hier einfach vergessen. Ich habe nichts zu essen bekommen, nicht einen Schluck zu trinken, und das nach allem, was wir hinter uns haben.« Sie blieb stehen. »Drei Monate, sagst du? Ohne Supermarkt? Dann dürfte die Gemeinschaft inzwischen am Hungertuch nagen.«
    Die Männer und Frauen, die Benjamin unterwegs gesehen hatte, waren ihm abgemagert erschienen, wenn auch nicht so abgezehrt wie die Streuner, an die er sich erinnerte. »Vermutlich sind die Lebensmittel hier schon seit einer ganzen Weile rationiert. Das Hospital scheint noch zu funktionieren. Abigale lebt wieder, ebenso die anderen Gemeinschaftsmitglieder, die beim Angriff von Dagos Leuten starben. Auf dem Weg hierher habe ich einige von ihnen gesehen. Außerdem … Unsere Kratzer sind verschwunden, hast du gesehen?.«

    »Ja, die Stadt hat uns geheilt.« Louise setzte ihre unruhige Wanderung fort.
    Benjamin klopfte aufs Bett. »Komm,

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