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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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aus«, sagte Louise, als sie sich wieder in Bewegung setzten.

    »Die Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Es ist mir ein Rätsel, was jenes Wesen mit all dem hier zu tun hat.«
    Aber das stimmte nicht. Das Wissen wartete in ihm, ebenso in Reichweite wie die letzte Wahrheit; er schreckte nur davor zurück, die geistige Hand danach auszustrecken.
    Kälte erwartete sie draußen; die Temperatur lag knapp unter dem Gefrierpunkt. Schneeflocken fielen, klein und vereinzelt, als könnte sich der Himmel nicht entscheiden, ob er es wirklich schneien lassen sollte. Es war dunkel – die Lampen im kleinen Park vor dem Hotel brannten nicht mehr. Jenseits des Lichts, das aus dem Foyer und den Fenstern fiel, erstreckte sich rabenschwarze Finsternis.
    Vorsichtig traten sie die von einer hauchdünnen Eisschicht überzogenen Treppenstufen hinunter und auf den Kies der Zufahrt, der unter ihren langsamen, zögernden Schritten knirschte.
    »Als der Supermarkt verschwand, war Hannibal verdammt wütend.« Louise sah sich immer wieder um, doch nirgends regte sich etwas in der Nacht. »Er war so verdammt sauer, dass er uns ins Labyrinth gefolgt ist. Ich meine, er muss wirklich eine Stinkwut auf uns gehabt haben.«
    »Obwohl uns überhaupt keine Schuld traf«, warf Benjamin ein.
    »Obwohl uns überhaupt keine Schuld trifft«, sagte Louise, sah sich erneut um und fügte hinzu: »Zumindest mich nicht. Und dann, als er uns schließlich erwischt, drei Monate später nach der hiesigen Zeit, ausgehungert und ohne den gewohnten Komfort, den ein gut sortierter Supermarkt bietet, da ist er natürlich entschlossen, uns zur Rechenschaft zu ziehen. Ganz klar. Doch dann überlegt er es sich anders, scheint
plötzlich ganz lieb und zahm zu werden und … verschwindet spurlos, zusammen mit allen anderen. Was soll das, frage ich dich. Was steckt dahinter?«
    Sie erreichten das Ende der Zufahrt, und die Nacht schien sich um sie zu verdichten. Mehr Schneeflocken tanzten im Licht, das vom Hotel kam und hier sehr schwach war.
    Als sie auf die Straße traten, bewegte sich etwas vor ihnen in der Dunkelheit. Eine kahlköpfige Gestalt löste sich aus den Schatten, gefolgt von einer zweiten, deren gelbe Schuhe das wenige Licht einfingen.
    »Es freut mich, dass ihr gekommen seid, um uns den Supermarkt zurückzubringen«, sagte Hannibal.
    Benjamin spürte erneut Louises Hand an seinem Arm. Ihre Finger drückten fest zu.
    Die Schneeflocken fielen langsamer, als warteten auch sie auf eine Antwort.
    »Deshalb bist du doch gekommen, nicht wahr?«, fragte Abigale sanft.
    Es war ein sonderbarer Moment. Benjamin fühlte sich wie in einem Schwebezustand, zwischen Lüge und Wahrheit. Er hätte versuchen können, alles zu erklären, von Anfang an, aber Hannibal lebte seit vielen Jahrzehnten in der Stadt. Ihre besondere Realität bestimmte sein Denken und Empfinden, und Benjamin zweifelte an seiner Bereitschaft, über den Horizont des Vertrauten hinauszusehen und bisherige Glaubensgrundsätze infrage zu stellen. Hannibal war davon überzeugt, die Wahrheit schon vor langer Zeit gefunden zu haben und sie gut zu kennen. Sie gab ihm Halt; sie war das Gerüst seiner hiesigen Existenz. Und wie hätte Benjamin seine Behauptungen beweisen können?

    »Lauf«, flüsterte er Louise zu. »So schnell du kannst.«
    Er wirbelte herum und lief los. Seine stampfenden Beine trugen ihn über die Straße, tiefer in die Nacht, weg vom Licht des Hotels und den beiden Gestalten, die ihn für fähig hielten, den Supermarkt zurückzubringen. Louise folgte ihm, und er wollte ihre Hand ergreifen, sie mit sich ziehen, als plötzlich Silhouetten in der Dunkelheit vor ihm erschienen.
    Benjamin wurde langsamer und blieb schließlich stehen.
    Eine Barriere aus Menschen versperrte den Weg. Sie standen alle dort, die Mitglieder der Gemeinschaft, abgemagert und in verschlissener Kleidung, die sie nicht mehr durch neue aus dem Supermarkt ersetzen konnten. Jemand zündete eine Öllampe an, und andere folgten dem Beispiel. Flackerndes, unruhiges Licht drängte die Nacht zurück und zeigte den Tanz der Schneeflocken. Benjamin erkannte den hünenhaften Katzmann, dessen blondes Haar noch länger war und ihm ein ganzes Stück über die Schultern reichte. Neben ihm stand Mikado, den Riemen des Walkie-Talkie über die Schulter geschlungen. Und Velazquez, mit Farbspritzern in einem Gesicht, das schmaler und hohlwangiger geworden war. Und Cobain und Magdalena, die beim Gefangenenaustausch auf dem Konkordatsplatz zur

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