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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Händen.
    »Das ist Velazquez«, sagte Abigale. »Du teilst eine Suite mit ihm. Er wird dir dabei helfen, mit allem vertraut zu werden.«
    »Ich würde dir gern die Hand schütteln, aber …« Velazquez hob sie und zeigte, dass sie von Farbe verschmiert war.
    Benjamin nickte ihm zu und sah dann den Leuten hinterher. »Louise hat die Expedition erwähnt …«
    »Hannibal war dagegen«, sagte Abigale offen und blickte ebenfalls über den Parkplatz. »Er wollte niemanden ins Labyrinth schicken, aber ich habe darauf bestanden. Neugier kann keine Sünde sein, habe ich gesagt. Und jetzt ist Rinehard verletzt und Lindsay verschwunden. Vielleicht hätte ich auf Hannibal hören sollen.«
    Sie beobachteten, wie die Leute hinter der Ecke des Hotels verschwanden. Das Gloria schien ihre Stimmen zu schlucken, und um sie herum breitete sich die Stille der Nacht aus. Die Sirene heulte längst nicht mehr.
    »Was ist das Labyrinth?«, fragte Benjamin, obwohl Louise ihm davon abgeraten hatte, solche Fragen zu stellen.
    »Ein weit verzweigtes Tunnelsystem unter der Stadt«, antwortete Abigale. »Vielleicht war es irgendwann einmal ein U-Bahnnetz. Manche glauben, dass es eine Möglichkeit bietet, die Stadt zu verlassen.« Sie lächelte ihr sanftes Lächeln. »Vermutlich hat dir Louise gesagt, dass du solche Themen bei
uns besser meiden solltest. Sie ist klug; es würde mich wundern, wenn sie dich nicht darauf hingewiesen hätte.«
    Benjamin schwieg und stellte fest, dass auch Velazquez aufmerksam zuhörte.
    »Wie du von den anderen erfahren wirst, mache ich kein Geheimnis daraus, dass ich die Dinge nicht immer so sehe wie Hannibal. Ich glaube, dass es nicht schaden kann, Fragen zu stellen. Die Neugier ist Teil der menschlichen Natur. Wie sollen wir den richtigen Weg finden, wenn wir die Augen verschließen? Das Labyrinth existiert, ob es uns gefällt oder nicht. Warum es nicht untersuchen?«
    Benjamin deutete zu den Gebäuden auf der anderen Seite des Parkplatzes. Sie schienen noch dunkler geworden zu sein, ein Teil der Nacht. »Sie haben den Zugang verbarrikadiert.«
    »Mir wird langsam kalt«, sagte Velazquez, der nur leichte Kleidung trug.
    »Ja, gehen wir. Am besten bringst du Benjamin in euer Quartier. Er ist bestimmt müde nach all der Aufregung.«
    »Nein, eigentlich nicht«, widersprach Benjamin. »Ich habe bei Louise geschlafen.« Dass sie ihn mit einem Fausthieb niedergestreckt hatte, erwähnte er nicht. »Wir mussten warten, bis sich der Nebel verzog.«
    »Ich könnte ihm den Supermarkt zeigen«, sagte Velazquez hoffnungsvoll.
    Benjamin sah, wie Abigale in der Dunkelheit die Schultern zuckte, was ihn an Louise erinnerte. »Warum nicht? Ich nehme an, du brauchst neue Farben, wie?«
    Velazquez grinste mit perlweißen Zähnen. »Und noch einige Dinge.«

8
    »Bestimmt haben sie dir ihren kleinen Vortrag über Gut und Böse gehalten«, sagte Velazquez. »Alles Humbug, wenn du mich fragst.«
    Das Gloria lag inzwischen ein ganzes Stück hinter ihnen. Sie folgten dem Verlauf einer schmalen Straße, die an Wohngebäuden vorbeiführte, hinter deren Fenstern hier und dort Licht brannte. In der Ferne, über den Dächern der Stadt, zeichneten sich in der Dunkelheit die vagen Konturen eines Hügels ab. Als Benjamin sie beobachtete und Einzelheiten zu erkennen versuchte, merkte er, dass die Nacht nicht mehr völlig finster war wie noch während der Fahrt mit dem Wagen. Auf der rechten Seite des Hügels – im Osten? – verwandelte sich das Schwarz des sternenlosen Himmels allmählich in ein dunkles Grau. Bot es den ersten Hinweis auf einen neuen Tag? War eine ganze Nacht verstrichen, seit er in dem Hauseingang erwacht war? Er wollte auf seine Armbanduhr sehen und stellte fest, dass sie fehlte. Die in Gold eingefasste Seiko, Kattrins Geschenk zu seinem vierzigsten Geburtstag, hatte ihn nicht ins Jenseits begleitet.
    »Abigale hat verschiedene Theorien erwähnt«, sagte er.
    Velazquez schloss den Reißverschluss der Jacke, die er aus dem Hotel geholt hatte. Benjamin trug einen Parka, der etwas zu knapp saß, aber vor der Kälte schützte.
    »Wenn du mich fragst … Aliens.«
    »Was?«
    »Aliens«, wiederholte Velazquez. »Außerirdische. Wir sind entführt.« Er deutete mit dem Daumen nach oben. »Der komische Himmel, die seltsame Stadt … Alles von ihnen
konstruiert. Wir sind Teil eines Experiments. Die Außerirdischen wollen uns glauben machen, dass wir gestorben sind, aber die Unfälle, Krankheiten, was auch immer … alles Illusion. Die

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