Die Stadt - Roman
waren, und warme Luft schlug ihnen entgegen. Die Musik wurde etwas lauter, aber nicht so laut, dass sie störte. Links befanden sich die Kassen, mehr als ein Dutzend, alle unbesetzt. Velazquez führte Benjamin nach rechts, vorbei an einem großen Blumenstand mit Rosen und Tulpen.
»Nur heute«, säuselte eine Stimme aus den Lautsprechern in der Decke, während die Lautstärke der Musik gedämpft wurde. »Fünf rote Rosen und fünf Tulpen Ihrer Wahl, nur sechs Talann. Greifen Sie zu, solange der Vorrat reicht.«
Benjamin blieb stehen. »Was sind Talann?«, fragte er. »Und woher kommen die Blumen?« Er streckte die Hand nach einer Rose aus. Wassertropfen glitzerten wie kleine Kristalle auf ihren Blättern. »Sie sind frisch.«
»Ich kenne den Supermarkt seit zehn Jahren und weiß noch immer nicht, was Talann sind«, erwiderte Velazquez. »Vielleicht die Währung der Stadt. Aber es spielt keine Rolle, da man ohnehin nicht bezahlen muss. Nimm dir einfach, was dir gefällt.« Er hob den Zeigefinger, an dem noch immer gelbe Farbe klebte, obwohl er sich im Hotel, bevor sie aufgebrochen waren, Gesicht und Hände gewaschen hatte. »Aber nicht zu viel. In Maßen. Habgier, mein Lieber, ist Sünde und könnte die Tugendhaftigkeit der Gemeinschaft beeinträchtigen, die uns allen den Weg zum Paradies erschließen soll.«
Von den Auslagen einer nahen Bäckerei kam der Geruch frischer Backwaren. »Hast du Hunger?«, fragte Velazquez. »Möchtest du ein Brötchen? Oder darf’s eine Brezel sein? Wie wär’s mit einem Stück Kuchen? Sahne oder Obst? Vielleicht beides?«
Benjamin merkte plötzlich, dass ihm der Magen knurrte. Er nahm ein Brötchen mit blauen Streuseln und biss hinein. Es war so frisch, dass es sich im Innern noch etwas Wärme vom Backofen bewahrt hatte, und es schmeckte so köstlich, dass er kurz die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, hatte sich die Lücke in den Auslagen der Bäckerei geschlossen.
Velazquez bemerkte seinen erstaunten Blick. »Bäcker backen nachts, nicht wahr? Damit für die Kundschaft am Morgen alles bereit ist. Jetzt ist Nacht. Die Bäcker backen, wo auch immer.«
Leer und hell erleuchtet erstreckten sich die langen Gänge des Supermarkts vor ihnen. Benjamin aß das Brötchen, während sie an den gefüllten Regalen entlanggingen, und er versuchte, dieses Bild frappierender, absurder Normalität mit der leeren Stadt in Einklang zu bringen. Es gelang ihm nicht.
Der Stand mit Aufschnitt und Käse war sechs oder sieben Meter lang, und als Benjamin dort stehen blieb, wurde die Musik erneut leiser, und die freundliche Lautsprecherstimme sagte: »Gerade eingetroffen: Parmaschinken, hundert Gramm für nur einen Talann. So etwas finden Sie nur in der goldenen Fundgrube. Greifen Sie zu.«
»Pass auf.« Velazquez beugte sich über den Tresen, nahm eine Scheibe Schinken und stopfte sie sich mit der einen Hand in den Mund, deutete dabei mit der anderen auf den silbernen Teller, von dem die Scheibe stammte. Benjamin bemühte sich, genau hinzusehen, doch während eines Blinzelns, das nicht länger dauerte als einen Sekundenbruchteil, hatte eine neue Schinkenscheibe den Platz derjenigen eingenommen, die sich jetzt in Velazquez’ Mund befand.
»Du hast es nicht gesehen, oder?« Velazquez schluckte. »Man kann noch so genau beobachten und versuchen, nicht zu blinzeln — man kriegt es einfach nicht mit. Wie die fehlenden Dinge ersetzt werden, meine ich. Eine Lücke im Regal oder auf dem Teller, und zack, im nächsten Moment ist sie aufgefüllt.«
»Aber wie …« Benjamin starrte noch immer auf den Teller.
»Wie das funktioniert? Keine Ahnung. Niemand hat es je herausgefunden. Die Stadt ist die Stadt, und der Supermarkt ist der Supermarkt. Was man auch nimmt, womit man sich die Taschen füllt … Spätestens nach einigen Tagen sind die Lücken wieder aufgefüllt. Bei leicht verderblichen Waren geht es schnell, bei anderen, wie zum Beispiel Konserven, dauert es länger. Aber leer werden die Regale nie. Was kann man sich mehr wünschen?«
Beschwingten Schrittes, fast wie in einem Tanz, ging Velazquez an den Auslagen vorbei und wirkte so unbeschwert wie ein Kind, als er Süßigkeiten einsteckte. Einen Schokoriegel wickelte er aus und schob ihn sich in den Mund. Das Papier zerknüllte er, sah sich um, entdeckte einen Abfallkorb und warf es hinein.
»Nichts auf den Boden fallen lassen«, sagte er. »Alles muss seine Ordnung haben. Alles muss sauber bleiben.«
Sie gingen weiter, und als Benjamin
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