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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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immer noch genügend Menschen unterwegs, aber in der diffusen Kunsthelle der Winternacht, in der abendlichen Trägheit standen die Chancen gut, unbemerkt zu bleiben.
 
    Nicht alles war Taschenspielerei, ganz reale Bürokratie forderte ihr Recht. Da waren Fortschrittsberichte zu fingieren und Familien zu kontaktieren. Ich stand dabei, schaute Dhatt über die Schulter und gab ihm den ein oder anderen Tipp beim Abfassen eines Schreibens an Mr. und Mrs. Geary. Eingebettet in höflich bedauernde Nichtigkeiten teilte er ihnen mit, dass sie sich von nun an mit eventuellen Anfragen bitte an die Militsya Ul Qomas wenden möchten. Es war ein ungutes Gefühl von Macht, als Gespenst durch diesen Ablenkungsbrief zu spuken, die Empfänger zu kennen, sie von innerhalb der Worte zu sehen, die als Einbahnglas fungierten, damit sie nicht hineinschauen konnten und mich sehen, einen der Verfasser.
    Da ich Straße und Hausnummer von Yolandas Versteck nicht kannte, musste ich Dhatt die Gegend aus der bereits verblassten Erinnerung beschreiben, doch immerhin so genau, dass er nickte. Ich nannte ihm einen von der Adresse aus zu Fuß erreichbaren Park als Treffpunkt für den folgenden Tag. »Falls jemand nach mir fragt, erzählen Sie ihnen, dass ich vom Hotel aus arbeite. Machen Sie sich mit ihnen lustig über den ganzen albernen Papierkram, mit dem wir in Besźel uns das Leben schwer machen und mit dem ich mich auch hier herumschlagen muss.«
    »Wir reden über nichts anderes, Tyad.« Dhatt konnte nicht still sitzen, nicht still stehen. Er war nervös, verunsichert von dem Bewusstsein, auf nichts und niemandem mehr vertrauen zu können, aufgewühlt. Er wusste nicht, wo er hinschauen sollte. »Auch wenn ich sage, Sie sind an allem schuld, kann ich wahrscheinlich bis zu meiner Pensionierung in Schulen Verkehrsunterricht erteilen.«
    Beide bezweifelten wir, dass Bowden sich wieder melden würde, doch eine halbe Stunde nach Mitternacht erhielt ich einen Anruf auf dem Handy der armen Yallya. Garantiert war es Bowden, obwohl er sich nicht meldete. Kurz vor sieben am nächsten Morgen rief er wieder an.
    »Sie klingen übernächtigt, Dr. Bowden.«
    »Was liegt an?«
    »Sagen Sie's mir.«
    »Geht es los? Ist Yolanda bei Ihnen? Ist sie dabei?«
    »Wie gesagt, Sie haben eine Chance, Dr. Bowden, eine einzige.« Ich schrieb Uhrzeiten auf meinen Notizblock. »Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie abhole, seien Sie um neunzehn Uhr heute Abend vor dem Haupttor der Kopula.«
    Ich trennte die Verbindung. Ich versuchte, mir Notizen zu machen, Ablaufpläne zu skizzieren, brachte nichts zustande. Bowden rief nicht zurück. Beim Frühstück hatte ich das Handy ständig in Reichweite. Ich ging nicht zur Rezeption, um auszuchecken - keine Signale einer bevorstehenden Abreise an interessierte Beobachter. Ich überprüfte meine Garderobe auf Stücke, die ich nicht zurücklassen wollte, aber da gab es nichts. Mein verbotenes Exemplar von Zwischen der Stadt und der Stadt steckte ich ein, und das war's.
    Ich brauchte fast den ganzen Tag, um mich an Yolandas und Aikams Versteck heranzupirschen. Meinen letzten Tag in Ul Qoma. In wechselnden Taxis ließ ich mich etappenweise von einem Ende der Stadt zum anderen kutschieren. »Wie lange du bleiben?«, wollte der letzte Fahrer wissen.
    »Ein paar Wochen.«
    »Dir gefallen hier«, verkündete er in enthusiastischem Basis-Illit. »Beste Stadt in ganze Welt.« Er war Kurde.
    »Dann zeigen Sie mir doch die Plätze, die Ihnen selbst am besten gefallen«, forderte ich ihn auf. »Haben Sie nicht auch manchmal Ärger in dieser besten Stadt von allen? Man hört, dass ausländischen Mitbürgern nicht von allen Seiten Sympathien entgegengebracht werden.«
    Er schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Gibt Idioten überall, in ganze Welt, aber ist die beste Stadt.«
    »Wie lange leben Sie schon hier?«
    »Vier Jahre und so. Ein Jahr ich war im Lager ...«
    »Ein Flüchtlingslager?«
    »Ja, im Lager und drei Jahre lernen für Ul Qoma Einbürgerung. Sprache, du weißt, und lernen, diese andere Stadt nicht sehen, damit kein Grenzbruch.«
    »Haben Sie nie daran gedacht, in Besźel Ihr Glück zu versuchen?«
    Wieder ein Schnauben. »Was gibt in Besźel? Ul Qoma ist bester Platz für Leben.«
    Als Erstes steuerte er das Orchidarium an, weiter ging es zum Xhincis Kann Stadion, die obligatorischen Stationen einer Stadtrundfahrt, die er wahrscheinlich regelmäßig abklapperte. Als ich ihn ermutigte, mir seine persönlichen Lieblingsplätze zu

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