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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sodass man es sah. »Ich wünschte, das Ding hätte Rangabzeichen. Ich hätte Sie glatt degradiert.«
    Weder fuhr er im Zickzack, noch beging er den Fehler derer mit schlechtem Gewissen und schwachen Nerven, langsamer und vorsichtiger zu fahren als alle anderen. Wir blieben auf den Hauptstraßen, und er kommentierte, wie in Ul Qoma üblich, die Verstöße der anderen Fahrer mit der Lichthupe, kurze Botschaften im Ellenbogen-Code der Straße, aggressive Morsezeichen: blink, blink, du hast mich geschnitten, blink, blink, blink, entscheide dich.
    »Er hat wieder angerufen«, informierte ich Dhatt leise. »Sehr wahrscheinlich kommt er. Und dann ...«
    »Kommen Sie schon, heraus damit. In welchem Falle er uns begleiten wird, richtig geraten?«
    »Er kann nicht hierbleiben. Haben Sie Papiere für ihn?«
    Dhatt fluchte und hämmerte mit der Faust auf das Lenkrad. »Scheiße, ich wünschte, ich hätte mich selbst überreden können, aus diesem Wahnsinn auszusteigen. Ich hoffe, er bleibt da, wo der Pfeffer wächst. Ich hoffe, Orciny kriegt ihn.« Yolanda riss die Augen auf. »Ich mache mich schlau, wer heute Dienst hat. Unter Umständen müssen Sie Ihr Portemonnaie zücken. Wenn's eng wird, gebe ich ihm meinen verdammten Ausweis.«
    Wir sahen die Kopula schon von weitem durch das Gewirr der Telefondrähte und Gasgondelkabel über den Dächern aufragen. Aus unserer Richtung kommend, passierte man zuerst - in unserem Fall nichtsehend -, was in Ul Qoma die Rückseite des Bauwerks war und in Besźel das Portal mit den Schlangen wartender Besź und auf dem Heimweg befindlicher qomanischer Besucher. Ein Blaulicht - Besźelblau - flackerte. Wir durften und wollten nichts davon wahrnehmen, aber zwangsläufig war uns bewusst, dass wir bald legal auf dieser Seite sein würden. Wir umrundeten den gewaltigen Bau bis zu seinem Tor an der Ul-Maidin-Avenue, gegenüber dem Tempel des Unentrinnbaren Lichts, wo die Schlange nach Besźel langsam vorrückte. Dort stellte Dhatt den Wagen ab - schräg à la Militsya an der Bordsteinkante, mit baumelndem Zündschlüssel -und wir stiegen aus, um uns durch die abendliche Völkerwanderung einen Weg zu dem weitläufigen Vorplatz und der Umfriedung der Kopula zu bahnen.
    Die Wachen außen fragten nichts, sagten nichts, als wir uns durch die Menschenscharen schlängelten, zwischen den im Stau stehenden Fahrzeugen hindurch, öffneten uns wortlos das ausschließliche Militsya und anderen Befugten vorbehaltene Tor. Wir betraten das eigentliche Gelände der Kopula, wo das riesige Gebäude darauf wartete, uns zu verschlingen.
    Unsere Augen waren überall. Ich ging hinter Yolanda, die sich in ihrer Militsya -Montur sichtlich unwohl fühlte. Ich schaute über die Köpfe der fliegenden Händler und Würstchenverkäufer hinweg, der Wachen, der Touristen, der Treber, der echten Militsya. Von den vielen Durchfahrten hatten wir die größte gewählt, breit und hoch und schnurgerade unter einem gemauerten Tonnengewölbe, mit freier Sicht durch den interstitiellen Raum auf die Wartenden hüben wie drüben - allerdings mehr, viel mehr auf der Seite Besźels, wo man nach Ul Qoma pilgerte wie in das Gelobte Land.
    Von diesem Punkt aus konnten wir zum ersten Mal seit langer Zeit geradewegs nach Besźel hineinschauen, ohne den Zwang, die Nachbarstadt zu nichtsehen. Blaulicht, eben noch auf der Herfahrt nicht gesehen, grüßte, der Einsatzwagen in Umrissen sichtbar hinter den herabgelassenen Gittern zwischen den Staaten. Auf dem Weg ins Innere der Kopula erspähte ich am anderen Ende des Tunnels, auf der erhöhten Plattform, von der aus die Grenzschützer Besźels die Menge beobachteten, eine Gestalt in Policzai -Uniform. Eine Frau.
    »Corwi.« Mir wurde erst bewusst, dass ich den Namen laut ausgesprochen hatte, als Dhatt mich fragte: »Ist sie das?« Ich wollte antworten, auf die Entfernung könne ich es nicht genau erkennen, aber er unterbrach mich: »Warten Sie eine Sekunde.«
    Er schaute in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Wir standen etwas abseits vom Hauptstrom derer, die nach Besźel wollten, auf einem schmalen gepflasterten Streifen zwischen den vor den Checkpoints anstehenden Reisenden und langsam rollenden Fahrzeugen. Dhatt hatte recht. Das Verhalten einer Person hinter uns war beunruhigend. Nicht wegen ihrer äußeren Erscheinung. Es war ein Mann, eingehüllt in einen schlichten qomanischen Winterumhang unbestimmter Farbe. Er drängte sich, mal langsam, dann schneller, leicht diagonal durch die

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